Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Misstrauen und Verrat vergiftet war, hatten alle drei Interessenparteien Hunderte von Toten zu verzeichnen, sowohl Bürger als auch Edelleute.
Als Ferruccio auf dem Heimweg von Hof zu Hof geritten war, hatte er erfahren, dass viele Adelige hingerichtet worden waren: die Ridolfi, die Pucci, die Tornabuoni und die Cambi. Sogar Bernardo del Nero war von Savonarola zum Tode verurteilt worden, und Ferruccio wusste, dass er dem Mönch überaus treu ergeben gewesen war. Florenz war nicht mehr die verborgene Republik von Jesus Christus, sondern hatte sich in ein Reich des Schreckens und des Terrors verwandelt.
Ferruccio betete, dass wenigstens noch Pierantonio Carnesecchi am Leben wäre. Seinetwegen war Ferruccio hierher zurückgekehrt, denn er stellte das einzige Bindeglied zu Leonora dar. Wenn er sich weigern würde, ihm zu helfen, würde Ferruccio ihn umbringen: Ein Toter mehr oder weniger würde in diesem wilden Treiben hier nicht weiter auffallen. Als er in Florenz ankam, hatte die Wut die Stelle des Schmerzes übernommen, und Hoffnungslosigkeit hatte sich breitgemacht. Mit diesem letzten Verlust war auch der Wunsch zu sterben in Ferruccio gekeimt. Ihm selbst war es egal, ob er überlebte oder nicht, und demgemäß zauderte er auch nicht, ganz offen an jeder Ecke nach dem Wohnort von Carnesecchi zu fragen. Und falls jemand es wagen sollte, nach dem Grund zu fragen, würde er ganz einfach seinen Umhang über die Schulter werfen und auf den Knauf seines Schwertes deuten. Mittlerweile fühlte Ferruccio sich wie ein Jäger – und wenn die Beute Angst bekam: Umso besser, dann würde sie vielleicht eher einen Fehler begehen und ihn seinem Ziel näherbringen.
In einem Haus hinter dem Pagliuzza-Turm würde er vielleicht Erfolg mit seiner Suche haben, hatte man ihm gesagt. Man hatte ihm auch geraten, auf der Hut zu sein. Die blinde Wut hatte Ferruccio jedoch einen Streich gespielt und ihn in den dunklen Hauseingang getrieben, und im Handumdrehen spürte er eine Klinge an der Kehle.
»Wen sucht Ihr?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
»Jesus«, antwortete er sarkastisch. »Schon mein ganzes Leben lang.«
»Dann habt Ihr ihn jetzt gefunden. Nunmehr ist er auch bereit dazu, Euch in sein Reich zu führen.«
»Bevor ich mit ihm gehe, wünsche ich, Pierantonio de Francesco Carnesecchi zu treffen. Das ist wohl kein Verbrechen.«
Die Klinge wurde gesenkt, blieb jedoch weiter in bedrohlicher Nähe seines Halses. Aus der Dunkelheit tauchten ein Arm und dann ein unbekanntes Gesicht auf, das ihn musterte. Die Klinge verschwand.
»Ritter de Mola?«
Hektisch lief Zebeide die Treppen auf und ab und flehte alle Schutzgeister des Hauses an, die sie auf ihrer Liste hatte. Bevor sie das Haus verschloss, oblag es ihrer Verantwortung zu prüfen, ob alle Feuer gelöscht waren, die Vorräte vor den Ratten – obwohl sie seit einiger Zeit nicht mehr aufgetaucht waren – geschützt waren und die Wäsche, die steif vor Kälte auf dem Dachboden hing, trocken war. Als sie alles kontrolliert und für gut befunden hatte, hob Ferruccio die treue Dienerin hoch und hievte sie in den Sattel der robusten und geduldigen Stute. Es war nicht einfach und dauerte eine gewisse Zeit, bis er ihr erklärt hatte, wie sie sich am Sattelknauf festhalten solle und dass sie ihre Füße fest in den Steigbügeln halten müsse. Als er sie steif wie ein Brett auf dem Pferd sitzen sah, hatte Ferruccio beinahe Mitleid mit ihr. Von Savonarola oder vom Papst empfangen zu werden bedeutete für sie das Gleiche, so groß war der Ruhm des Mönchs und der Respekt und die Ehrfurcht, die er bei einfachen Seelen – und nicht nur bei ihnen – auslöste.
Der Befehl an die beiden edlen Herren, die ihm sein Leben geschenkt hatten, lautete, dass sie sowohl ihn selbst als auch seine Magd zu Savonarola bringen sollten. Die Gründe hierfür waren den Männern nicht bekannt – doch wenn sie je die Absicht gehabt hätten, sie umzubringen, hätten sie es bereits getan, dachte Ferruccio und versuchte, optimistisch zu sein. Mit einem Schwert in der Hand für eine gerechte Sache zu leben oder zu sterben war eigentlich gar nicht so schlecht, befand er weiterhin. Ganz im Gegenteil, so fühlte er sich halbwegs handlungsmächtig, was allemal besser war, als wehr- und tatenlos von Savonarola erfahren zu müssen, dass Leonora nicht mehr am Leben sei. Ferruccio zwang sich zu positiven Gedanken. Die Tatsache, dass eine Nachricht auf ihn wartete, könnte immerhin auch das Gegenteil bedeuten. Ein
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