Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Außerdem wurde seine Position durch seinen dritten Sohn geschwächt, der kränklich auf die Welt gekommen war und wohl bald das Schicksal seiner beiden Brüder teilen würde, die ebenfalls vorzeitig das Zeitliche gesegnet hatten. Das waren positive Aussichten, fand Alexander VI. und rieb sich die Hände in dem kostbaren Muff aus Luchsfell – einem Geschenk der Medici. Mit einem geschwächten Frankreich konnte er die Möglichkeit erwägen, Cesare vom Purpur zu befreien und ihn mit Carlotta, Sanchas Cousine, zu verheiraten.
Auch für Lucrezia, die Alfonso immer noch begehrte, hatte er gute Neuigkeiten – wenn das Kind erst einmal auf der Welt war und die Hochzeit mit dem Sforza annulliert wäre, dann würde er ihr ihren Wunsch erfüllen. Mit drei Aragonesen in der Verwandtschaft hätte der Thron Neapels überaus gute Chancen, entweder das Papsttum oder die Borgia zu überleben, obwohl es nicht ein- und dasselbe war. Doch wenigstens würde er Cesares heißblütiges Temperament und seinen Ehrgeiz in ruhigere Bahnen lenken. Als König würde Cesare auch seinen Bruder Jofré unterwerfen, sollte Jofré tatsächlich sein Sohn sein, was es zu beweisen gälte.
Alexander VI. blieb am Fenster stehen und betrachtete das Gedränge auf dem Markt, der die Händler aus den umliegenden Dörfern jeden Dienstag anlockte. Eines Tages würde er – im Tausch gegen einen Palazzo oder Juwelen – von Vannozza verlangen, ihm die Wahrheit zu beichten. Eine andere Möglichkeit wäre, Jofrés Amt und sein Weib gleich mit dazu auf Cesare zu übertragen. Doch er bezweifelte, dass sich sein Sohn dazu bereit erklären würde, Sancha zu ehelichen, zumal dieses fröhliche Frauenzimmer die Gelüste sämtlicher männlicher Familienmitglieder längst befriedigte.
Mit dem Dogen Barbarigo kam er nicht zurande, doch Venedig war weit weg, und die Venezianer hatten ihre ganz eigenen Probleme.
Alexander seufzte. Vielleicht würden die Borgia eines Tages ja doch noch Könige werden. Doch ganz gewiss würde der erste ihrer Könige nicht Cesare heißen.
Mittlerweile war das schreckliche Jahr zu Ende. Den Vorhersagen des Astrologen Bigazzini nach würde Juans Geist ihm nicht mehr erscheinen, und Lucrezia würde einen Sohn gebären.
Nun fehlte ihm also nur noch Florenz, um seine Ränke zu vollenden. Dem Urteil des illustren Astrologen Gaurico zufolge standen die Chancen während des Fischezyklus am besten. Dann, wenn der Jupiter im Zeichen des Saturn stünde.
Also verfasste er an den Gonfaloniere di compagnia, Andrea de Pazzi, ein Sendschreiben. Seine Worte sollten den Händlern der Calimala, den Richtern, Kräutermischern, Kürschnern und Notaren, aber auch den Totengräbern, Wirten, Waffenmeistern, Stoffhändlern und Schmieden bis zu den Schneidern und Färbern zur Kenntnis gebracht werden. In seinem Schreiben wurden die Florentiner aufgefordert, dem langen Arm der Kirche den vormals exkommunizierten Bruder Domenico Savonarola unverzüglich auszuhändigen. Weiteres Beharren auf diesem Ungehorsam, ließ Seine Heiligkeit die Florentiner wissen, würde einer Sünde gleichkommen. Deshalb sähe er sich als Hirte der Christenheit gezwungen, ein Interdikt auszusprechen. Wer sich dieser Anordnung widersetze, verlöre alle seine Besitztümer und seine außerhalb der Stadtmauern offenen Kredite.
Medici ärgerte sich über den Adressaten: Andrea war der Cousin von Guglielmo und der Gatte seiner Tante Bianca. Er hatte seinen Onkel Giuliano umgebracht. Bei seinem treuen Passerini machte er seinem Unmut Luft.
»Das hat er mit Absicht getan, Silvio. Das ist ein Affront.«
»Signore, denkt lieber daran, dass Ihr den spanischen Stier mit einem stumpfen Schwert auf die Knie gezwungen habt.«
Giovanni hielt ihm seine Hand vor den Mund, denn er wusste nur zu gut, dass die Wände überall Ohren hatten: Die dicken Mauern und langen Korridore der vatikanischen Paläste konnten sich plötzlich in Abgründe verwandeln, mit Gräben und Tunneln, Labyrinthen und echten Türen hinter falschen Bücherregalen, hinter denen stets irgendjemand lauschte. Außerhalb seiner Gemächer, deren Fenster einen Blick auf die Kerker der Engelsburg zuließen, waren sie stets mit sechs Wachen unterwegs: zwei Wachen des Papstes, zu deren Bewachung wiederum zwei aus seinen Reihen – und schließlich zwei Soldaten zu seiner Sicherheit. Und dann natürlich Silvio, sein Schatten, Beichtvater, Liebhaber, wackerer Soldat und Leibwächter, der über drei Spannen groß und vier Sester Weizen schwer
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