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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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ganz sicher, ob sein Bruder je wieder zu sich käme.
    Bald würden sie es wissen. Seine Mutter gab ihm das Fläschchen mit dem geronnenen Blut, das mit Ziegenkot vermischt war. Dieser pestähnliche Gestank würde ihn wiedererwecken – so hatte er es jedenfalls gesagt. Mit einem Messer löste Judas die wächserne Versiegelung des Fläschchens, und sobald der Gestank der Essenz in seine Nase stieg, hielt er es sofort Jesus unter die Nase. Hustend wich Maria zurück und hielt sich den Zipfel ihrer Tunika vor die Nase. Jakob stürzte in eine Ecke und erbrach das bisschen Brot und Wasser, das er im Magen hatte. Maria Magdalena sah, wie Yuehan zusammenbrach, und eilte sofort zu ihm. Sie hielt ihm ein Tuch vor das Gesicht, das mit syrischem Nardenöl getränkt war.
    Mehrere Male hielt Judas die Essenz unter die Nase seines Bruders, ohne dass dieser auch nur einen Muskel bewegte. Ratlos drehte er sich zu seiner Mutter um, die ihr Gesicht in den Händen barg und schluchzte.
    Das war der Moment, in dem Jesus hustete. Einen Augenblick später fuchtelte er wild mit den Armen, als wolle er böse Geister vertreiben. Er sollte jedoch erst Stunden später vollends zu sich kommen – war dann jedoch der Alte: Zuerst verlangte er nach Wasser, und kaum waren seine Lippen benetzt, rief er auch schon seinen Sohn zu sich.
    »Wir gehen nach Hause«, flüsterte er ihm zu. »Das verspreche ich dir.«
    »Mir ist alles recht, Vater. Ich habe nur noch dich auf der Welt, und ich werde dir überallhin folgen. Diejenigen aber, die dir Leid zufügten, werden früher oder später dafür bezahlen, das schwöre ich dir.«
    »Weine nicht und schwöre keine Rache«, seufzte Jesus. »Dafür haben deine Mutter und ich dir diesen Namen nicht gegeben. Dein Name ist eine Gabe des Geistes. Und du musst dich seiner würdig erweisen.«
    Am dritten Tag nach seiner Auferstehung war Jesus wieder fähig, zu essen und zu trinken. Und er hatte fast alle normalen Körperfunktionen wieder aufgenommen, obwohl es ihm peinlich war, hierfür keine Intimität zu haben.
    »Wenn ich es geschafft habe, meinen Darm in eurer Gegenwart zu entleeren«, scherzte er, »dann bin ich so gut wie zum Aufbruch bereit.«
    Als Zeichen, dass sich in der Grotte eine Grabstätte befand, wurde nun ein Mühlstein vor den Eingang gerollt und mit Kalk und Sand versiegelt. In einer kleinen Höhle gleich neben dem Grab hielten sich Jesus und Yuehan versteckt, der zwischen dem Haus seiner Onkel und der Höhle hin und her pendelte. Jeden Tag brachte er seinem Vater frisches Malzbier, das mit Kokoshonig abgeschmeckt war, und allerlei Leckereien. Fleisch und Süßspeisen, die seine Großmutter unablässig zubereitete. Dann leistete Yuehan ihm Gesellschaft und hörte ihm zu. Manchmal schlief er vor Erschöpfung ein und umarmte seinen Vater, so wie er es damals als kleines Kind getan hatte, als er in das elterliche Bett gekrabbelt kam.
    Innerhalb weniger Tage war Jesus wieder voll bei Kräften. Die Säfte der Aloe hatten seine Wunden verheilen lassen. Der Abreise stand nichts mehr im Weg. Diesmal, das wusste Jesus, würde es weder die Zeit noch die Möglichkeit für eine Rückkehr geben. Der Abschied von seiner Mutter und seinen Brüdern schmerzte ihn, und er genoss die letzten Treffen, die ihnen noch blieben. Trotz allem mussten sie nach wie vor aufpassen: Dieses häufige Kommen und Gehen vor dem Grab würde sowohl bei den Juden als auch bei den Römern nicht wenige Fragen aufwerfen, und in diesem gegenseitigen Misstrauen zwischen den beiden Völkern würden die Spione des Sanhedrins bald die Wahrheit entdecken.
    Tatsächlich sickerte schließlich etwas durch. Vielleicht nur ein Wort zu viel, ein Lächeln anstelle von Tränen, eine harsche Antwort auf eine neugierige Frage … Und plötzlich waren sich Menschen, die ihm nahestanden, sicher, dass sie Jesus wiedersehen würden – und schlugen ihre Zelte in der Nähe des Grabes auf. Nach wenigen Tagen wimmelte es nur so vor Zelten, doch zu Jesu Glück verwechselten seine Feinde das Zeltlager mit einer Versammlung der Kanaanäer, die einem bizarren, aber harmlosen Totenkult frönten.
    Nur Maria Magdalena hatte sich seit der Grabversiegelung nicht mehr blicken lassen. Sie war es gewesen, die mit dem römischen Offizier verhandelt hatte. Als Prostituierte getarnt hatte sie das Gespräch zu ihm aufgenommen und ihm Geld dafür geboten, dass er nicht zu viele Fragen stellte. Sie war es auch gewesen, die den Körper von Jesus gemeinsam mit seinen Brüdern und

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