Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
gezogen wurde, unkontrolliert passieren. Es war ein einfacher Einachser mit einem dunklen Lederdach. Auf dem Kutschbock saßen zwei Männer, und im Inneren befanden sich drei Frauen und ein schlafendes Neugeborenes in einem Weidenkörbchen. Als die Via Bolognese gen Fiesole anstieg, legte Ferruccio seinen Wollumhang ab.
»Der Hafen von Ravenna liegt fünf Tagesreisen entfernt.«
»Sechs«, antwortete Osman und starrte geradeaus. »Der Weg wird beschwerlich sein.«
»Das ist wahr, zu zweit wärt ihr schneller gewesen – und ich schulde dir das Leben meiner Familie«, antwortete Ferruccio hastig.
»Niemand schuldet mir irgendetwas«, der Türke schaute ihn an. »Wenn Ihr jemandem etwas schuldet, dann Gua Li.«
Osman ließ die Zügel locker auf den Widerrist seines robusten Bardigiano fallen, der den Hals schüttelte und seinen Trott beschleunigte. Schweigend drehte sich Ferruccio um, um ins Innere der Kutsche blicken zu können. Zebeide wiegte den Kleinen hin und her, während die anderen beiden Frauen miteinander lachten. Wie gerne hätte er jetzt Leonora in den Arm genommen, ihr den gemeinsamen Sohn gegeben, damit sie ihn an die Brust legen konnte und diese wiedergewonnene Intimität genossen. Doch in Wirklichkeit fühlte er sich einsam und senkte den Blick. Mit jeder Meile, die sie zurücklegten, verspürte er mehr und mehr die Last der Schuldgefühle, die sich mit der wachsenden Freundschaft zwischen den Frauen nur noch weiter verschlimmerten. War das die Sünde, über die Savonarola so oft gesprochen hatte? Doch es gab keinen Gott, der ihn von dieser Last befreien konnte. Das konnte, wenn überhaupt, nur Leonora – nur die Mutter in ihr, die aus Liebe alles verzieh und linderte und ihn von seiner Schuld befreite.
In Vaglia machten sie in der Poststation halt, die von einem dichten Eichenwald umgeben war, im Brosiana-Tal wurden sie von Mönchen in deren Abtei versorgt und im Borgo Marradi von Benediktinermönchen. Als sie nach Brisighella hinabstiegen, fühlte sich Gua Li so schlecht, dass die gesamte Gruppe zwei Tage in einer Taverne Rast einlegen musste.
»Nun ist es an mir, ihr zu helfen«, sagte Leonora zu Ferruccio, als sie mit einem Aufguss aus Lindenblüten und Ringelblumen an ihm vorbei in Gua Lis Krankenzimmer ging. Als Leonora seinen dankbaren Gesichtsausdruck sah, stellte sie die Tasse auf dem Treppenabsatz ab, streichelte ihm über die Wangen und huschte dann schnell davon.
Die Sümpfe signalisierten ihnen, dass sie mittlerweile das Herzogtum d’Este erreicht hatten, und der strömende Regen stellte ihr Lederdach auf eine harte Probe. Am siebten Tag erreichten sie endlich den Flottenhafen von Ravenna.
An den Ankerplätzen schaukelten schlanke Fischerboote und breite Barkassen neben den flachen Kähnen der Händler. Weil Sonntag war, lag der Hafen wie ausgestorben da. An der Kaimauer waren nur die Schreie der Möwen zu hören, und über den wenigen Netzflickern, die auch am Ruhetag ihrer Arbeit nachgingen, zog ein Kormoran seine einsamen Kreise.
In den folgenden beiden Nächten schliefen sie alle zusammen in der Kutsche, und die beiden Männer wechselten sich mit der Wache ab. Für Ferruccio war es das erste Mal, dass er für ein paar Stunden in Leonoras Nähe ausruhen konnte. Doch als er es endlich geschafft hatte, sie in den Arm zu nehmen und seine Augen zu schließen, wurde er bereits wieder von Osman zur Wachablösung geweckt.
Am dritten Tag zeigte der Türke im Nebel auf einen Mast mit roten Segeln, der höher als die anderen war.
»Das ist die Schebecke von Khayr al-Din.«
Osman zwängte sich eifrig in ein kleines Beiboot und schlängelte sich geschickt wie ein Aal zwischen den Schiffen hindurch, um dann in den Nebelschwaden, die nach Meer rochen, zu verschwinden.
»Aruj hat mir gesagt, dass er dir nichts mehr schuldet, du Krüppel«, begrüßte ihn Khayr al-Din, als Osman auf das Schiff gekrochen kam.
»So ist es, Rotbart, ich habe meine Rechnung beglichen.«
»Wage es nicht!«, polterte Khayr. »Nur meine Mutter nennt mich so und meine Feinde.«
»Ich bin weder deine Mutter noch dein Feind. Bring uns nach Istanbul, und du wirst mich nie wiedersehen.«
Mit zwei Matrosen von Rotbart im Rücken verkaufte Osman seinen Bardigiano und den Karren für fünfzehn große Silbermünzen und machte sogar ein halbwegs gutes Geschäft, denn der Händler hatte ihm anfangs nur zwölf geboten.
Als das Segelschiff die Segel setzte, zeigte Khay al-Din mit dem Finger auf Osman.
»Du verfluchter
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