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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Abtrünniger! Aruj hat mir gesagt, ihr wärt zwei und nicht fünf. Und diese Hexe will ich nicht an Bord.«
    »Für die anderen werde ich zahlen – und die Frau, die du eine Hexe nennst«, flüsterte ihm Osman ins Ohr, während er auf Gua Li zeigte, »ist gesegnet von Allah, denn ihr Name ist nun Fatima, die Beschützerin der Kinder. In der Sunna steht geschrieben, dass der Große Prophet, als er nach Medina kam, mit den zehn Kindern eines Mannes spielte. Als der Vater den Propheten so sah, grämte er sich, dass er seine Kinder nie umarmt hatte. Mohammed – gelobt seien seine Taten! – aber antwortete ihm, dass es ein Segen Allahs sei, Kinder zu lieben und sich um sie zu kümmern. Ich gebe dir eine Florine und auch eine für den, den du nicht siehst. Bayezid wird dir weitere hundert geben, sobald du uns sicher nach Istanbul gebracht hast.«
    Khayr al-Din zuckte mit den Schultern.
    »Mein Bruder hat dich zu mir geschickt, und nun stehe auch ich in seiner Schuld. Was ihr da von mir verlangt, wird mein Leben um Jahre verkürzen. Jeder Schuldner wünscht sich den Tod seines Gläubigers, und ich glaube, Aruj macht da keine Ausnahme.«
    »Dein Bruder liebt dich, unabhängig davon, was du bist, so wie es in den Gesetzen geschrieben steht. In der Sunna steht geschrieben …«
    »… dass man Gäste nicht quälen darf, ich weiß, ich weiß. Geh zu ihnen, Osman – aber lass sie nur an Deck kommen, um die Sterne zu betrachten.«
    Die Schatten des Abends nahten aus dem Orient, als sich die zwölf Ruder an Steuerbord aus dem Wasser erhoben und die an Backbord unter Wasser gedrückt wurden. Wie eine Dame, die im Kreis tanzt, drehte sich die Schebecke und nahm Kurs auf das offene Meer. Dann wurde die Schebeckentakelung des Dreimasters heruntergelassen, die Ruder eingeholt, und das Schiff nahm mit dem Wind volle Fahrt auf.
    Khayr al-Din stand neben dem Steuermann auf der Brücke und nahm die Witterung des bedrohlichen Westwindes auf. Es gefiel ihm, was seine Nase ihm sagte. Er rechnete fest damit, bereits in vier Tagen in der Goldenen Moschee ein Dankgebet sprechen zu können.
    Mittlerweile zog Gua Li Osman ins Vertrauen, und der Mönch erschien ihr auch wieder in ihren Träumen. Das tröstete sie. Sie hängte eine Decke vor die Latrine und hob, vor fremden Blicken geschützt, ihren Sari hoch: Im Lichte der Öllampe betrachtete sie erstaunt ihre neuen Rundungen. Glücklich streichelte sie ihren Bauch und lachte lautlos, als sie sich nach diesen Berührungen erleichtern konnte.
    Als Gua Li an Deck kam, sah sie im Dunkeln zwei weiße Augäpfel leuchten. Ein wildes Durcheinander von Gerüchen stürmte auf sie ein, als wären die Energienströme eines jeden allein auf ihre Nase gerichtet. Seit dem Tag der Empfängnis konnte sie Gerüche nicht mehr eindeutig zuordnen – ihr Körper war seitdem zu sehr mit anderem beschäftigt. Trotz alledem vermeinte Gua Li aber Leonoras zarten Duft nach Melisse und Zebeides starken Lavendelgeruch zu riechen. Und ganz in der Nähe nahm sie auch das Mandelaroma wahr, das zu Ferruccio gehörte – süß und bitter zugleich. Als sie ihren Blick in die Richtung wendete, aus der sie den Duft wahrzunehmen glaubte, fanden ihre Augen ihn auf Anhieb. Sie betrachtete ihn mit Freude und Trauer, mit Respekt und Dankbarkeit.
    Osmans Geruch bereitete ihr allerdings Sorgen. Er verströmte den Geruch von Weihrauch, den Geruch von Trennung und Loslassen. Doch sein Herz war so rein wie das Lächeln von Leonoras Kind, das noch keinen Namen hatte und bis dahin wie sein Vorfahre, Paolo, genannt wurde. Der winzige Junge war der Einzige, der noch keinen eigenen Geruch hatte – vielleicht war Gua Li aber auch einfach nicht in der Lage, ihn von den anderen Düften an Bord zu unterscheiden.
    »Du musst deine Erzählung zu Ende bringen, bevor wir ankommen. Bitte …« Leonora nahm ihre Hand. »Vorausgesetzt natürlich, du willst sie uns erzählen und es ist nicht zu schwer für dich, Schwester. Erzähle uns, wie es Jesus und seinen Lieben weiter erging. Seine Verfolger interessieren mich nicht. Ich fürchte mich vor deinen Worten, weil ich das Ende kenne, aber ich möchte sie trotzdem hören. Sprich zu uns, Gua Li.«
    »Warst du schon so, bevor du Mutter wurdest, Leonora?«, seufzte Gua Li und lächelte. »Oder verändert das Muttersein auch die Seele? Und denkst du nicht, dass das Muttersein jeder Frau gleichsam als absolute Natur innewohnt? Einer Natur, die einer anderen Mutter, der Urmutter, entspringt?« Gua Li gab

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