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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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und dann die Belohnung, denn Erstere wird leichter zu ertragen sein, wenn es eine Aussicht auf eine Belohnung gibt.«
    »Und wenn die Bestrafung das Abschlagen des Kopfes bedeutet? Dann könnte die Belohnung das Paradies mit seinen zweiundsiebzig Jungfrauen sein, die ihn erwarten.«
    »Das könnte sein, doch wenn er in alle Ewigkeit mit den Jungfrauen leben muss, dann würde die vermeintliche Belohnung irgendwann zur Strafe werden.«
    Gegen seinen Willen musste Bayezid lachen. Jedem anderen hätte er für diese Interpretation der heiligen Sure über die Barmherzigkeit den Kopf abschlagen lassen.
    »Nun, also?«, fragte Bayezid, der sich wieder gesammelt hatte. »Was schlägst du vor?«
    »Die Bestrafung, sagst du, ist der Tod? Gibt es keine andere Lösung?«
    »So lautet das Gesetz Gottes, und ich kann nichts anderes tun, als es anzuwenden.«
    »Ich bin zwar dagegen, doch wenn es denn sein muss, dann musst du ihm nicht das geben, was für ihn die schönste Belohnung wäre – sondern, was dir am wichtigsten ist.«
    »So werde auch ich bestraft.«
    »Um Recht und Ordnung zu respektieren, war Abraham bereit, das zu opfern, was ihm am liebsten war: seinen Sohn Isaak. So steht es im Koran. Es ist das Gesetz Gottes, und du musst es anwenden.«
    »So sei es«, sagte Bayezid. »Ja, mein Herz ist gerecht, aber deine Honigzunge ist gespalten wie die einer Schlange, du alter Ungläubiger – und dann erdreistest du dich noch, mir Koran-Stunden zu geben!«
    Behände und ohne sich auf die Hände zu stützen, sprang der Mann aus seinem Lotussitz auf.
    »Kann ich nun zu meiner Tochter gehen? Ich möchte mein schwaches Herz auf ihren Anblick vorbereiten.«
    »Sie ist schon bereit. Und ich fand sie in guter Gesundheit vor. Sie erscheint mir allerdings ein bisschen runder zu sein.«
    Ada Ta hob die Augenbrauen und strich sich über den Schädel. Wenn der Sultan nicht ganz geblendet war, war nunmehr auch die letzte Aufgabe erfüllt. Und all das in weniger als einem Jahr! Er lächelte zufrieden.
    Langsam schritt Ada Ta in den Garten. Als er Gua Li erblickte, schlug sein Herz schneller.
    »Ada Ta!«, schrie Gua Li, als sie des Alten gewahr wurde. Sie rannte ihm entgegen und umarmte seinen schmächtigen Körper. In ihrer Erinnerung war er wesentlich größer gewesen.
    Lange hielten die beiden sich umarmt. Gua Li legte ihren Kopf auf seine Brust, um seinem Herzschlag zu lauschen. Sie genoss die Berührung seiner Hände, die ihr über das Haar strichen. Sanft legte er ihr schließlich seinen Arm um die Schulter.
    Gua Li führte den alten Mönch zu ihren Freunden. Lächelnd begrüßte sie Ada Ta.
    »Mein Freund Ferruccio …«, lächelte er, »… der Ritter mit den starken Armen und dem offenen Geist, der zu lernen wünscht und deshalb wahrlich scharfsinnig ist. Und du …« Ada Ta wandte sich an Leonora. »Du musst der Grund für seinen Kummer der letzten Monate sein. Er hat die Schale eines Granatapfels, doch ihm war die eine Hälfte abgetrennt worden, und jeder der süßen Kerne hatte sich in bitteres Blut verwandelt. Leonora, wie kann es sein, dass du noch schöner als in seinen Beschreibungen bist?«
    Sie lächelte und ergriff Ferruccios Arm.
    »Dir gebührt all meine Dankbarkeit. Denn du hast ihn gerettet und zur Vorsicht gemahnt. Ich weiß, dass mein Ehemann die Wut eines Stiers und das Herz eines Lamms besitzt.«
    »Dann bist du aber eine gute Schäferin.«
    Ada Ta drehte sich um. »Und wie ist es möglich, dass diese hübsche, junge Frau hier solch einen garstigen Schmerz im Rückgrat verspürt, dass sie sich nicht mehr aufrichten kann?«
    Zebeide blickte auf und hielt den Kopf schief. Dann verstand sie. Die Magd richtete sich auf, verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust und warf dem Mönch einen abweisenden Blick zu.
    »Eigentlich müsste ich mich jetzt verneigen vor diesem Respekt für mein Alter«, fuhr Ada Ta fort. »Wäre ich achtzig Jahre jünger, würde ich versuchen, Euch als meine Gefährtin für den heiligen Tanz der Weißen Löwen zu gewinnen.«
    Der Mönch ließ Zebeide mit offenem Mund stehen und wandte sich dem Kind zu, das Leonora auf dem Arm hatte.
    »Ich begrüße das Kind zum Schluss, denn der erste Bissen macht satt, während der letzte Freude bereitet.«
    Sanft berührte er das Bäuchlein des Kindes mit seinem Finger, und Paolo gluckste zufrieden. Leonora gab ihn Ferruccio, dem für einen Moment die Luft wegblieb. Zum ersten Mal reichte sie ihm ihren Sohn. Er war so glücklich, dass er sich setzen

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