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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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musste und den Blick nicht von dem zufriedenen Lächeln seines Sohnes wenden konnte. Die anderen setzten sich um ihn herum.
    An diesem Abend kredenzte ihnen Bayezid mit Reis gefüllte Weinblätter, Hummus und eine Suppe aus roten Linsen mit Paprika aus seinen persönlichen Gärten. Gua Li war eigentlich schon satt, konnte der Suppe jedoch nicht widerstehen. Dann wurde eine riesige Zahnbrasse in einer Kruste aus zypriotischem schwarzem Salz serviert. Der Sultan selbst schnitt den Fisch an, aus dessen Maul ein Hummer schaute. Die Bäckchen wurden zwischen den Frauen aufgeteilt, obwohl Zebeide, die sich kaum noch wachhalten konnte, keine große Freude daran hatte. Amina kümmerte sich rührend um den verwirrten Osman und servierte ihm die besten Leckerbissen. Ada Ta war schließlich der Einzige, der das zum Abschluss servierte Baklava noch genießen konnte, und Bayezid fragte sich, wie er so viel essen konnte und doch so dünn wie ein Hering war.
    »Wenig Schlaf, viel nachdenken, vieles verzeihen.«
    Der Sultan schnitt eine Grimasse und wandte sich an Gua Li, um mehr über ihren Gesundheitszustand zu erfahren. Leonora hatte sich das Kind mit einem Tuch um den Leib gewickelt und hielt während des ganzen Abends mit Ferruccio Händchen. Seitdem sie von Bord gegangen waren, erschien Ferruccio seine Frau verändert. Möglicherweise fühlte er sich ihr auch deshalb näher, weil er bemerkt hatte, dass Gua Li sich langsam, aber sicher von ihm entfernte.
    An diesem Abend teilten sie zum ersten Mal nach all den Monaten das Bett, zwischen sich nur das Körbchen, in dem Paolo schlief. Sie hatten bereits die Kerzen gelöscht, als sie im Dunkeln seinen Namen flüsterte.
    »Leonora?«
    »Schlaf, mein Liebling, und denk an mich.«
    Gua Li legte sich auf die rechte Seite und stopfte sich ein Kissen unter den Rücken.
    »Es ist besser, auf der linken Seite zu schlafen«, sagte Ada Ta im Dunkeln. »Dort agiert das Phlegma und belastet deine Galle nicht. Wenn du dann noch in die Sterne siehst, wirkt der Nachthimmel harmonisch auf deinen Körper und deinen Geist.«
    Gua Li richtete sich auf.
    »Und warum?«
    Ada Ta seufzte, blieb aber auf dem Rücken liegen und massierte sich weiter die Fußsohlen, während sein Kopf zwischen den Knien hervorlugte.
    »Die Tochter dieses Alten denkt wohl, dass ihr Vater blind und noch dümmer geworden ist, nur weil so viel Zeit vergangen ist, seitdem sie sich das letzte Mal sahen. Er freut sich über ihre Rücksichtnahme, doch nach wie vor kann sie ihm nichts verbergen. Mmh, meine Tochter hat plötzlich eine andere Atmung – was ein Zeichen dafür ist, dass das Herz sich bereits verändert. An deiner Stelle würde ich meine Position verändern.«
    »Ich … hätte schon noch mit dir gesprochen. Ich konnte es kaum erwarten, es dir zu erzählen, aber ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Oh, Ada Ta, verzeih mir!«
    »Es ist sehr einfach, nicht zu wissen, wo man anfangen soll, denn so kann man überall beginnen. Und außerdem – was sollte ich dir verzeihen? Du bist dem Lauf der Natur gefolgt. Ich hätte dich getadelt, wenn du es nicht getan hättest.«
    »Er ist …«
    »Ein Mann, ja, ich weiß. Du wirst auf ewig meine Tochter bleiben, egal, was du tust oder wofür du dich entscheidest.«
    »Und woher weiß ich, dass er der Richtige ist?«
    »Das kann niemand wissen. Der Mensch macht manchmal den Fehler, mit dem Geist, statt mit dem Körper zu kopulieren. Der Geist jedoch ist ein zweischneidiges Schwert. Damit sich die Energien von Yin und Yang ergänzen können, müssen sie in die tiefsten Gefilde des Körpers hinabsteigen – in den Schoß.«
    »Ferruccio gehört aber einer anderen Frau, das weiß ich – und das sieht man auf den ersten Blick.«
    »Niemand gehört einem anderen Menschen, und manchmal verliert man den Sinn des Lebens aus den Augen.«
    »Du hast gut reden – du verlierst ja auch nichts.«
    Gua Li konnte das sanfte Lächeln auf den Lippen des Mönchs nicht sehen. Ada Ta atmete tief ein.
    »Ich bin nur ein Alter, der Glück hat. Und jetzt lass uns ruhen. Die Reise zurück wird kürzer und angenehmer sein, aber wie ich dir bereits erklärte, ist alles relativ.«
    Einen Augenblick später hörte Gua Li tiefe Atemzüge. Sie beneidete Ada Ta um die Fähigkeit, auf Kommando einschlafen zu können. Vielleicht tat er aber auch nur so. Sie kannte ihren Vater zu gut, um zu wissen, dass er sie nicht hatte belehren wollen, sondern ihr durch die Blume etwas anderes sagen wollte. Also drehte sie

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