Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Fürbitte geschieht. Mir wurde etwas Außergewöhnliches zuteil, und zwar in Gestalt einer Frau.«
Bruder Silvestro hob den Kopf und sah ihn wie ein kleines Kind an, das auf das Ende des Märchens wartet.
»Erzähle uns dieses Wunder, guter Vater.«
»Es ist eine lange Geschichte, doch wir haben Zeit. Höre auch du zu, Bruder Domenico, denn so werden wir eins sein, wenn wir uns unten auf dem Platz wiederfinden. Zu dritt, wie auf Golgatha. Nur dass diesmal die Verbrecher zuschauen werden, wie Gerechte sterben.«
Fünf schnelle Galeeren kämpften gegen die widrigen Strömungen des Bosporus. In jeder befanden sich hundert Ritter der blaublütigen Sturmtruppen der Akinci, deren Treue zum Sultan legendär war. Sie waren geschickte Bogenschützen, und mit ihren Krummsäbeln fielen sie wie grausame Dämonen über die Dörfer des Pontus her. In Horden zu dreißig, vierzig Mannen brandschatzten und mordeten sie, um dann so schnell zu verschwinden, wie sie gekommen waren.
Auf den Moscheen der Charidschiten war Salz gestreut und der Fluss Sakarya auf der Höhe des Dorfes Ukbali gestaut worden. Die unterirdischen Höhlen waren geflutet worden und hatten die letzten Flüchtigen, die es gewagt hatten, gegen Bayezid den Gerechten zu rebellieren, für immer begraben. Eine Spezialeinheit aus griechischen Söldnern teerte und räucherte die Festung aus, in der sie die Ratten gezüchtet hatten – und die Wärter gleich mit. Ein einziger Rattenkäfig wurde an einen geheimen Ort nach Phrygien überführt und dort einer Gruppe Leprakranker anvertraut, die in Felshöhlen hausten. Ihnen wurde Nahrung und Medizin versprochen, wenn sie die Tierchen am Leben erhielten. Dann wurde ein Söldner nach dem anderen vom Kommandanten, einem gläubigen Sunniten und Cousin Bayezids, persönlich umgebracht.
Die Wächterin des Berges, Faiza Valide, die Gemahlin des Sultans, wurde verschont. Wortlos wurde sie von ihrem persönlichen Eunuchen begleitet in den Turm von Galata gesperrt, wo sie für den Rest ihres Lebens den heiligen Koran studieren konnte – mit einer Gründlichkeit, wie es keine Frau vor ihr je getan hatte.
Der Serail wiederum wurde zwei Tage lang von den Schreien des Großwesirs Abdel el-Hashim erschüttert. Nachdem man ihm die Nase und die Ohren abgeschnitten hatte, hatte er sieben Tage lang die Möglichkeit, in einem Käfig, der vor dem Topkapi-Palast in der Sonne hing, über seinen Verrat nachzudenken. In den zwei darauffolgenden Tagen wurde ihm die Haut in Streifen abgezogen und das nackte Fleisch mit Salz bestreut. Als selbst das Meerwasser, das ihm eimerweise übergegossen wurde, el-Hashim nicht mehr zu erwecken vermochte, wurde er mit einer glühenden Beißzange kastriert und schließlich von vier robusten Pferden gevierteilt. So leid es den Folterern tat – nach diesen Strapazen war er einfach nicht mehr am Leben zu erhalten gewesen.
Osman wiederum lernte das Paradies kennen: Über einen Monat lang lebte er in einem Flügel des Palastes, der ihm von Bayezid zur Verfügung gestellt worden war, und genoss die Gesellschaft Aminas, die ihm – dem Willen des Sultans Gehorsam leistend – in der ersten Nacht ihre Jungfräulichkeit geschenkt hatte. Dieser ging jeden Abend seufzend an ihren Gemächern vorbei und verfluchte das Versprechen, zu dem ihn Ada Ta genötigt hatte.
Einen Tag vor Beginn des Ramadan, in dem es verboten war, Nahrung zu sich zu nehmen, sich von Zorn leiten zu lassen oder Geschlechtsverkehr zu haben, versicherte sich Bayezid, dass der Krummsäbel so scharf war, dass er mit seiner Klinge ein Haar spalten konnte. Dann wählte er den besten seiner Janitscharen aus, betete mit Osman und schaute dann regungslos zu, wie der Janitschare Osman den Kopf abschlug.
Für seine Gastfreundschaft und den Schutz, den er Leonora und Ferruccio gewährt hatte, verlangte Bayezid eine Gegenleistung. Sollten sie jemals eine Tochter haben, dann sollten sie ihr den Namen der großen Moschee Hagia Sophia geben. Als er sie fragte, welchen Glauben sie wählen würden, wenn sie sich frei entscheiden dürften, überraschte ihn die Antwort der Frau keineswegs.
»Den der Liebe, Bayezid.«
»Und den der Gerechtigkeit«, fügte Ferruccio hinzu, »die alle Völker vereint. Und wenn es dir Freude bereitet, dann werde ich dir eines Tages von einem Mann erzählen, der Muselmanen, Juden und Christen vereinen wollte, damit im Namen Gottes keine Kriege mehr geführt werden müssten.«
»Mit Sicherheit war er verrückt«, antwortete ihm der
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