Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
während man wenige Jahre zuvor noch mit der Zahlung eines Bußgeldes davongekommen war. Wer Zinsgeschäfte betrieb, die neuerdings verboten waren, obwohl sie Florenz reich gemacht hatten – dem wurde der gesamte Besitz beschlagnahmt. Wer fluchte, dem wurde die Zunge abgeschnitten. Das waren die neuen Gesetze, die nicht auf der Stadtverfassung beruhten, sondern auf den Worten von Christus – interpretiert von Savonarola. Auch die unzähligen Gewerbe und Künste waren dem unterworfen. Ein Advokat, der zugunsten seines Mandanten log – eine jahrhundertealte Praxis –, erhielt die gleiche Strafe wie sein Mandant. Und die tüchtigsten Maler und Schriftsteller waren gezwungen worden, ihre Werke zu verbrennen – um nicht selbst auf dem Scheiterhaufen zu landen.
Carnesecchi hatte vor einiger Zeit für sage und schreibe 150 Scudi das Gemälde »Adam und Eva« des Malers Sandro Botticelli erstanden – und musste es dann öffentlich dem Feuer übergeben. Es reichte aus, einen Akt zu malen oder über die profane Liebe zu schreiben, um verfolgt, verurteilt und mit dem schlimmsten Abschaum in die modrigen Zellen des Stinche-Kerkers gepfercht zu werden, aus dem noch nie eine Flucht gelungen war. Man kam nur in Ketten gelegt wieder hinaus und wurde dann die Via Ghibellina entlang zum Torre della Zecca getrieben. Dort erwarteten den Gefangenen dann der Henker und ein Priester unter dunklen Kapuzenumhängen. Der eine trug ein Beil, der andere eine Bibel in der Hand.
Carnesecchi war so tief in seine Gedanken versunken, dass er beinahe gegen ein Werk von Meister Donatello gelaufen wäre: die imposante Judith-Bronzeskulptur, die Holofernes den Kopf abschlug – ein Symbol für den Sieg des Volkes über die Tyrannen. Savonarola hatte sie vor dem Haupttor aufstellen lassen – als deutliche Mahnung an die Florentiner und als Ausdruck seiner Verachtung für die Medici-Familie, von der er sie konfisziert hatte.
Obwohl er einen doppelten, mit Wolle gefütterten Filzumhang trug, spürte Carnesecchi die stechende Kälte. Das war ein gutes Omen – schadete die Kälte doch der Pestilenz. Um sicherzugehen, hatte er seine Familie bereits auf ihr Landgut geschickt. Villa di Cascia di Reggello galt als sicher – sie war nicht einmal von der Pest des vergangenen Jahrhunderts heimgesucht worden. Dann dachte er an seinen Gast, der sich seit Kurzem und inkognito in der Stadt befand: So konnte er sich freier bewegen und war in Sicherheit. Nicht einmal sein Weib wusste, wer er war. Gott segne den alten Papst Innozenz, dachte Carnesecchi, der seinen Gast seinerzeit zum Kardinal ernannt hatte, und verflucht sei Borgia, der neue, sein ganz besonderer Feind.
Bernardo del Nero, der Gonfaloniere, stand gut verborgen hinter dem Leinenvorhang im neuen Saal der Fünfhundert und beobachtete, wie Pierantonio Carnesecchi schnellen Schrittes von der Piazza in Richtung Mercato Vecchio ging. Instinktiv versteckte Bernardo sich hinter einer der beiden schmalen Marmorsäulen, die das Fenster einrahmten. Hinter der anderen Säule stand eine Figur, die eine Kapuze trug und die vor wenigen Augenblicken durch eine Geheimtür in den Saal getreten war.
»Carnesecchi ist ein gefährlicher Mann, Bruder Girolamo.«
»Die Männer, die uns offen widersprechen, brauchen wir nicht zu fürchten, nur diejenigen, die ihre Ränke im Verborgenen schmieden. Er wird einer der Unseren werden – der Ruf des Heilsbringers Christus ist zu mächtig; er wird nicht mehr lange widerstehen können. Lasse ihn trotzdem unauffällig beschatten.«
»Das werde ich tun, Pater. Und was die Pestilenz betrifft …. Ich könnte Albizi als ersten Offizier des Gesundheitsrates ernennen: Er ist ein sanfter Mann, und seitdem er sich aus dem Handel zurückgezogen hat, strebt er nur noch nach Ämtern.«
»Gut, gehe zu Albizi, aber erst nachdem ich dem Volk die Nachricht verkündet habe, in San Marco. Schau, Bernardo, die Pest ist eine Strafe Gottes, die gleiche, die durch Moses über die Ägypter kam. Und es liegt an uns, die schreckliche, zerstörerische Bestrafung durch Gebete abzuwenden.«
»Ich verstehe Euch nicht, Vater.«
»Gott hat zu mir gesprochen!«, antwortete er mit Vehemenz. »Nur wenn wir unsere Sünden bereuen und ohne Unterlass seine unendliche Barmherzigkeit erbitten, wird er darauf verzichten, die Menschheit zu zerstören!«
Bernardo machte einen Kniefall, um Savonarolas knochige Fingerknöchel zu küssen. Dabei fiel sein Blick zufällig auf die Füße des Mönchs, die vor
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