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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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dass dies der richtige Moment ist, um über derlei Themen zu sprechen? Immer ruinierst du alles – hier ist alles so wunderschön und rein –, wie kannst du da über Verstopfung reden!«
    Der Mönch antwortete ihr nicht, legte seine Tasche ab, bettete seinen Kopf darauf und legte seine Füße auf eines der Kissen.
    »Bis jetzt haben die Füße mehr gelitten als der Geist; deshalb verdienen sie die größere Aufmerksamkeit, vor allen Dingen in einem gewissen Alter«, sagte er. »Meine Ohren würden sich jedoch freuen, wenn meine Tochter mir die Geschichte erzählt, in der der junge Īsā auf Sayed Nasir-du-Din trifft – auf denjenigen, der verstand, dass der Jüngling ganz besondere Eigenschaften hatte, die …«
    »Ich weiß ganz genau, wer Sayed war! Du kannst deinen Ohren also sagen, dass sie zuhören sollen, und deinem Mund, dass er lernen sollte, ab und an still zu sein«, erwiderte die junge Frau und begann mit der Erzählung.
    An den Ufern des Tigris, dort, wo der Fluss einen Halbkreis bildet, war die Stadt Ktesiphon entstanden, das Drehkreuz für den Handel in und aus dem Orient. Es gab keine Jahreszeit, in der auf dem Markt nicht ein babylonisches Sprachengewirr zu vernehmen war. Rund um den Platz hatten sich Handwerker – Sattelmacher, Schlosser, Töpfer und Wagenbauern – mit ihren Werkstätten niedergelassen.
    Kaufmann Aban sprach gerade so viel Griechisch, Pali, Persisch und ein paar der chinesischen Dialekte, dass es ausreichte, um Handel zu betreiben. Ein Wort jedoch verstanden alle Handelnden auf Anhieb: Gold. Der junge Jesus hatte das Metier schnell erfasst und lief zwischen dem Marktstand und dem Lager hin und her, ohne auch nur eine Dattel oder Mandel oder gar einen Tropfen Öl zu verlieren. Aban war sehr zufrieden mit ihm, aber noch zufriedener waren die Kunden, die sich zahlreich um den Stand versammelten. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass der Junge die Ware immer korrekt abwog und die Amphoren bis zum Rand befüllte. Anfangs hatte sich Aban Sorgen gemacht, vor den anderen Händlern wie ein Anfänger dazustehen, hatte seine Befürchtungen jedoch schnell über Bord geworfen: Seitdem Jesus die Kunden bediente, kamen noch mehr, und Aban konnte durch eine geringe Erhöhung der Preise seinen Profit beträchtlich steigern.
    Einem Stoffhändler fiel auf, dass der Junge nie lächelte, nicht einmal, wenn er das Geld kassierte. Er schien kein Sklave zu sein, aber auch nicht der Sohn oder Neffe Abans, den er gut kannte. Als sich der Junge die Ärmel hochkrempelte, sah der Stoffhändler die unverwechselbaren Narben der Ketten. Ihre Blicke trafen sich, und eine Welle des Mitleids erfasste den Händler. Nun war der Moment gekommen. Er beschloss, dass er etwas für andere tun wollte, denn das Leben hatte es bisher gut mit ihm gemeint: Mit seinen dreißig Jahren besaß er bereits ein Heim, zehn Pferde, eine Frau und drei Konkubinen – hatte aber noch keine Nachkommen gezeugt. Er wartete, bis der Syrer seinen Handel abgeschlossen hatte, und sprach ihn dann respektvoll an.
    »Sei gegrüßt, Aban. Möge das Glück dir immer hold sein.«
    »Sayed! Was für eine Freude, dich wiederzusehen, du siehst jedes Mal besser aus.«
    »Auch du siehst nicht schlecht aus, und ich würde mich freuen, wenn du deinen Stand für einen Moment verlassen würdest, um mit mir etwas Erfrischendes zu trinken.«
    Aban hob mit beiden Händen seinen fetten Bauch an.
    »Ja, auch ich habe meine Freuden«, zwinkerte er, »auch wenn sie sich doch sehr von den deinen unterscheiden.«
    Unter einem Zelt sprachen sie weniger über Geschäfte als über die schwierigen Zeiten: Armeen von Wegelagerern kontrollierten die Zugangsstraßen der Städte und verlangten von den umliegenden Dörfern Schutzgelder. In den letzten Jahren waren ganze Völker von einem bis zum anderen Ende Chinas oder Indiens gewandert, bis nach Mesopotamien. Sie waren vor dem Hunger und den Fehden der Kriegsherren geflohen, die eine Spur der Verwüstung hinter sich ließen. Aban spürte jedoch, dass Sayed die ganze Zeit um den heißen Brei herumredete. Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und fragte:
    »Wie viel willst du für den Jungen?«
    »Ah, das interessiert dich also wirklich: nicht meine Gerste, sondern Jesus.«
    »So heißt er? Gut, wie viel willst du für Jesus?«
    »Mein lieber Freund, ich habe, nun, … 80 Silberschekel für ihn bezahlt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass du so weit gehen würdest und mir auch noch einen Profit zugestehst,

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