Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
klingen. Die Türen waren von innen verschlossen worden, damit niemand hörte, was nur für diesen engen Kreis bestimmt war.
»Es stimmt. Einige ehrenwerte Doktoren haben es mir zugetragen. Nun müssen wir die Ausbreitung aufhalten.«
Die geschockten Prioren rutschten nervös auf den knirschenden Holzbänken herum und hofften wider alle Hoffnung, dass irgendeiner unter ihnen es besser wüsste und sie beruhigte. Das Gemurmel wuchs und auch die Ungeduld, mehr zu erfahren. Pierantonio Carnesecchi, der das Amt des Gonfaloniere zu Lorenzos Zeiten bekleidet hatte, ergriff als Erster das Wort.
»Seit wann?«
Schon am Hofe der Sforza, im Hohen Gesundheitsrat, hatte er gelernt, dass nicht Tage, sondern Stunden zählten. Und was sie auch taten – sie durften das Volk nicht beunruhigen. Beides, die Ausbreitung des Übels und Panik, würde für Florenz das Ende bedeuten: Der Handel würde stagnieren; Bankkaufleute, Händler und jeder, der die Möglichkeit hätte, würde fliehen und das Banditentum die Stadt wie eine Hochwasserwelle überschwemmen. Die Erzählungen der Alten über die Pest, die im letzten Jahrhundert über Florenz hinweggefegt war und fast die gesamte Bevölkerung ausgelöscht hatte, riefen heute noch Angst und Schrecken hervor.
»Mir wurde zugetragen, dass der erste Fall vor einigen Wochen aufgetreten ist«, antwortete der Gonfaloniere verdrossen. »Sie ereilte einen Stallburschen und die Tochter des alten Serristori aus Careggi. Sie hielten es für das Dreitagefieber, aber um sicherzugehen, hatten sie für die Tochter den Medicus gerufen. Dieser hat einen Kollegen zu Rate gezogen, und die beiden waren sich einig: Es scheint, dass unter den Dienern noch weitere Infizierte sind.«
»Wie viele Tote?«
»Bis jetzt drei. Die junge Serristori, der Stallbursche und noch einer, den sie mausetot auf dem Feld vorfanden. Er war aus Angst vor der Untersuchung geflohen.«
»Man kann also noch nicht von einer Ausbreitung sprechen, und sollte es ein Einzelfall bleiben …«, flüsterte der edle Albizi hoffnungsvoll.
»Die Pestilenz weht durch die Luft wie der Schirokko«, antwortete Carnesecchi ernst, »und wenn du sein Eintreffen spürst, ist es bereits zu spät.«
»Was können wir also tun?« Die Stimme Albizis zitterte.
»Wir müssen Girolamo fragen«, schnitt ihm der Gonfaloniere das Wort ab, »auf dass er einen Beauftragten des Gesundheitsrates ernennt. Bis dahin darf kein Wort, das hier gesprochen wurde, nach draußen dringen.«
»Eigentlich, Bernardo, wäre es deine Aufgabe, ihn zu ernennen. Oder hast du einigen deiner Privilegien entsagt, um weitere im Himmel zu erlangen?«, warf Carnesecchi ein.
»Bruder Girolamo und der liebe Gott werden uns sagen, was zu tun ist. Ich glaube, niemand wird es wagen, ihre heiligen Entscheidungen in Frage zu stellen«, entgegnete Bernardo del Nero verächtlich.
Carnesecchi schüttelte den Kopf – mehr getraute er sich nicht: Er durfte sich nicht zu offensichtlich gegen ihn stellen, denn das würde bedeuten, dass er sich gegen den Mönch stellte. Was unweigerlich eine Anklage wegen Hochverrates nach sich ziehen könnte oder gar eine Verurteilung seiner gesamten Familie. Das wiederum bedeutete dann: Exil – wenn nicht sogar Schlimmeres. Der Gonfaloniere war einer der okkulten Köpfe der Piagnoni, einer Bande von Fanatikern, die ganz Florenz unsicher machten. Sie nutzten jede Gelegenheit, um den Willen Savonarolas gewaltsam durchzusetzen, und beriefen sich skrupellos auf ihn, wenn sie ihre Verbrechen begingen. Auch jemand in seiner Position konnte in diesen Zeiten ehe er sich’s versah einen Strick um den Hals gelegt bekommen oder öffentlich zu Tode gegeißelt werden. Bevor er aufstand, schlug er sich mit den Händen auf die Schenkel.
»Das heißt also, dass wir uns mit unseren Pestbeulen einen Platz im Himmel sichern, Bernardo.«
»Es lebe Jesus, der König von Florenz, unser Herr und Retter!«, sagte Albizi und hob die Arme, nicht ohne Carnesecchis scharfe Ironie bemerkt zu haben. Gonfaloniere Bernardo del Nero zog es vor, die Provokation zu überhören, und beließ es bei einer zustimmenden Geste.
»Amen«, antworteten die Anwesenden.
Kaum hatte Carnesecchi den Palazzo della Signoria verlassen, spuckte er aus. In seinen Ohren klang das Flehen des alten bigotten Albizi noch nach. Mittlerweile sprach Savonarola im Namen des neuen Königs von Florenz auch bei weltlichen Verbrechen Recht, und seine Strafen waren drastisch: Auf Sodomie stand nun die Todesstrafe,
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