Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Kälte bereits violett angelaufen waren. In Florenz erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand, dass der heilige Bruder Girolamo unter seiner Kutte nur sein Cilicium sowie eine schwarze Bruche trug und dass er sich nur einmal die Woche vor der Messe wusch, um unnötige Berührungen der intimen Bereiche zu vermeiden.
Am nächsten Tag erreichte Florenz eine unerwartete Kältewelle, und es begann zu schneien. Donato Albizi war ganz außer sich vor Freude über seine Ernennung. Er erschien in einer einfachen Joppe und einer langen schwarzen Samtweste, die über seine Beinkleider bis zu den Knien reichte, im Palazzo della Signoria. Dazu trug er ein rotes Barett, um die dunklen Flecken, die seinen Schädel verunstalteten, zu kaschieren und sich vor der beißenden Kälte zu schützen. Allerdings hatte er es für angebracht gehalten, trotz des kirchlichen Bannfluchs gegen allen Luxus wenigstens die goldene Kette zu tragen, an der eine mit konzentrischen Ringen besetzte Halbkugel hing – das Wappen seiner Vorfahren, die es durch den Wollhandel zu Reichtum gebracht hatten.
Trotz seines Alters beugte Albizi die Knie vor dem Thron, auf dem bereits Lorenzo de’ Medici Platz genommen hatte, und huldigte Girolamo Savonarola. Zu seiner Sicherheit waren dem Mönch ausnahmsweise zwei Gardisten der Republik mit Hellebarden zugeteilt. Er selbst hatte keine eigenen Soldaten und war meistens alleine unterwegs oder nur von zwei, drei Mönchen begleitet. Er brauchte keinen Schutz – Gott war mit ihm.
»Als ersten offiziellen Akt als Offizier des Gesundheitsrates wirst du nach der Messe den Weg nach Careggi sperren lassen. Du wirst den Borgo mit zehn Pfeilschützentrupps umstellen und unter Androhung der Todesstrafe niemanden hinein- oder hinauslassen. Weiterhin stellen wir dir für die Dauer von vierzig Tagen Arkebusenschützen an die Seite. Sie werden dir zwar nichts nützen, aber das Geräusch der Waffen wird den Bauern mehr Angst einjagen als die Bedrohung durch die Bogenschützen. Nach Ablauf der Frist sehen wir weiter. Der barmherzige Herr wird mir dann sagen, was das Beste für uns Sünder ist.«
»Und was, wenn die Seuche den Sicherheitsgürtel durchdringt?«
Der Mönch lächelte, und der Gonfaloniere tat es ihm gleich.
»Schau, Donato, der allmächtige Gott nutzt den Donner, den Blitz und jedwede Katastrophe der Naturgewalten, einschließlich der Pest, um diejenigen zu plagen, die er erlösen will. Möchtest du erlöst werden?«
»Ich möchte nur, was Ihr und der Herr, mein Gott, wollen«, stotterte Donato Albizi.
10
Am folgenden Abend
Ein Mann, kaum zwanzig Jahre alt, saß in der Taverne zur Sonne, die nur ein paar Schritte vom Markt entfernt in einer der engen und dunklen Gassen von Florenz lag. Er trank in großen Schlucken aus dem Zinnbecher. Seine gelbe Gardistenuniform war bereits mit Weinspritzern beschmutzt. Er sah einen jungen Mann mit schulterlangen schwarzen Locken eintreten und unterdrückte einen Rülpser. Als der Jüngling zu ihm trat, packte er ihn am Hemd, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn auf den Mund.
Niemand beachtete die beiden: Die Taverne, die Tag und Nacht voller Menschen war, galt als rechtsfreie Zone, und die Piagnoni hatten die Order erhalten, sich von ihr fernzuhalten. Bruder Girolamo hatte beschieden, dass ein solcher rechtsfreier Ort notwendig sei, denn auch eine Beule musste ab und an ausgedrückt werden, damit nicht der ganze Körper von der Pest verseucht wurde.
»Hast du Neuigkeiten?«, fragte der Neuankömmling.
»Hier steht alles geschrieben«, antwortete ihm der Gardist und händigte ihm eine Schriftrolle aus.
»Mein Herr dankt dir.«
Zwei silberne Florinen wechselten den Besitzer und verschwanden flink in einem Lederbeutelchen an den Beinkleidern.
»Und du dankst mir nicht?«
»Das habe ich bereits getan, meine ich.«
»So wenig?«, fragte der Gardist und legte dem anderen seine Hand auf den Schenkel. »Mit Verlaub – ich will beträchtlich mehr.«
»Nun denn, morgen Abend also. Du weißt, wo du mich findest. Ich werde die Tür offen lassen.«
»Meine steht für dich auch immer offen, mein Liebster.«
Später verließ der schwarze Lockenkopf die Taverne, spuckte mehrmals auf den Boden und wischte sich mit sei nem Ärmel den Mund ab. Als er am Palazzo Carnesecchi anklopfte, läutete der Pagliuzza-Turm einen neuen Tag ein. Ein alter Diener öffnete ihm. Seitdem die Frau und die Kinder des Herrn abgereist waren und den größten Teil der Dienerschaft mitgenommen
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