Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
wie die Hunde totgemacht.«
»Und sag, mein Sohn, hast du unseren guten Savonarola tot gesehen?«
Der Mann zögerte einen Augenblick, während sich die Hand des Mönchs enger um seinen Hals schloss.
»Nein, Exzellenz, ob er wirklich unter den Toten war, kann ich nicht auf die Madonna schwören – aber es hat Tote gegeben, das kann ich auf das Kreuz schwören.«
Auf eine Geste Giovannis hin ließ der Mönch von ihm ab. Sofort taumelte der Mann nach hinten und verlor dabei seine Kappe. Als er sie aufheben wollte, stolperte er und fiel der Länge nach hin. Eilig rappelte er sich auf und flüchtete durch den Kreuzgang. Dort stieß er mit den in den Gang hineindrängenden Menschen zusammen.
»Es ist besser zu gehen, Monsignore«, sagte der Mönch.
»Nein!«, schäumte Ferruccio. »Leonora! Sagt mir, wo sie ist. Ich bitte Euch.«
Als Antwort durchfuhr ihn ein schneidender Schmerz im Nacken, und seine Sinne vernebelten sich. Im Fallen versuchte er noch, sich an Giovannis Kutte festzuklammern. Aber um sich Ferruccios zu entledigen, brauchte Giovanni seine Kutte nur noch leicht zur Seite zu ziehen. Dann wurde Ferruccio auch schon schwarz vor Augen.
Als er wieder zu sich kam, war der Kreuzgang voller Menschen – Eindringlinge und Mönche liefen durcheinander, und ihre Schreie dröhnten wie Kanonenschläge in Ferruccios Kopf. Ohne sich um die Rempeleien und Beleidigungen zu kümmern, stand er auf und schwankte zum Ausgang. Mehrmals haute er mit der Hand und seinem Schwert gegen das verrammelte Portal der Kirche. Dann begann er wütend gegen das Tor zu treten, bis er von einer mit Knüppeln bewaffneten Gruppe von Jünglingen umzingelt wurde. Als die Schläge und ihr Gelächter auf ihn niederprasselten, verteidigte Ferruccio sich nicht einmal, sondern versuchte nur noch zu fliehen.
Erstaunt spürte er seine Tränen, als er davonlief; zuletzt hatte er beim Anblick von Giovanni Picos Körper geweint, als er die von Arsen geschwärzte Zunge und die verfärbten Nägel gesehen hatte. In einer Gasse hinter dem Palazzo Tornabuoni blieb er vor dem Schild einer Osteria stehen. Ferruccio hob die Tür beinahe aus den Angeln, als er eintrat, und setzte sich an einen der hinteren Tische, auf den er laut sein Schwert knallte. Nach dem vierten Krug Wein blickte er auf und meinte, Leonora unter den Anwesenden zu erkennen. Er sprach ihren Namen aus, bis er gewahr wurde, dass diese Fratze und die bemalten Lippen, auf die er gestarrt hatte, nicht zu ihr gehören konnten. Er schnauzte die Unbekannte mit einer Wut an, die so gar nicht zu ihm passte, sondern zu seinem früheren Leben, bevor er Leonora oder Giovanni Pico kannte: Damals war er einer Pinte Wein nie abgeneigt, sonntags ging er nur deshalb in die Kirche, um die Frauen zu begaffen, und im Vorzimmer des Prächtigen las er Bücher, die sich reimten, und wartete auf sein Kommando.
Wenn er seine Ehefrau retten wollte, dann musste er wieder die schwarzen Kleider eines Dieners des Schwertes anlegen, die er damals ausschließlich getragen hatte. Und er musste ein Adler und ein Löwe, ein Fuchs und eine Schlange sein – von allem etwas. Einer gegen alle.
Die Frau kreischte, als der lachende Mann sie zwinkernd mit sich zog. Die belustigte Menschenmenge machte Witze über die beiden und kommentierte das Geschehen mit Anzüglichkeiten. Er schimpfte mit ihr. Sie sei eine Hure, und wenn er sie erst ins Kloster zurückgebracht hätte, aus dem sie geflohen war, würde sie genügend Zeit haben, ihr Tun zu bereuen. Alle Umstehenden lachten, einige bekreuzigten sich – aber die meisten grüßten den Mönch fröhlich und schrien ihm hinterher, dass er genau das Richtige täte und dass er ihr ruhig tüchtig die Leviten lesen sollte, denn so seien sie alle, die Weiber – man müsste eben einfach mit ihnen Geduld haben.
Als er sie über seine Schulter warf, wurde ihre Welt auf den Kopf gestellt – genau wie ihr Leben. Die Füße ohne Gesichter, die Erde anstelle des Himmels – sie ließen einen schweren und dumpfen Schmerz an die Stelle einer rabiaten und heftigen Verzweiflung treten. Genau aus dieser Welt der Schande und der Gewalt hatten Graf Mirandola und Ferruccio sie vor zehn Jahren befreit. Nun war sie erneut hineingestoßen worden. Es war also alles nur eine Illusion gewesen, ein süßer und absurder Traum von Freiheit und einem neuen Leben. In diesem Moment tröstete sie nur der Gedanke, dass wenigstens keine Kinder da waren, die sich beide so sehr gewünscht hatten. Es war ein
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