Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Zeichen des Schicksals. Nun aber war Mirandola tot und Ferruccio, der seinen Pflichten nachkam und seine Ehre rettete, weit weg.
Leonora widersetzte sich nicht mehr länger. Mittlerweile begegneten sie nur noch wenigen Passanten. Trotzdem hielt sie dieser Mann, Bruder Marcello, wie er sich nannte, fest wie ein Schraubstock und hastete eilig voran. Leonora sah nur Schlamm, Dreck, Pfützen und Staub; die quadratischen Steine der Häuserecken, hier und da eine Katze und ein paar Ratten. Sie schloss die Augen. Jegliches Zeitempfinden ging ihr verloren.
Der Geruch von reifem Weizen, der durch ihre grobe Kapuze drang, ließ sie wieder zu sich kommen. Leonora erinnerte sich nicht einmal daran, wann der Mönch sie ihr übergestülpt hatte. Sie wurde mit gefesselten Händen abgelegt und ohne unnötige Grobheit über den Boden geschleift. Ihre Seele war gebrochen, aber ihre Sinne dafür umso wacher. Sie hörte das Quietschen einer Tür, ein kurzes Murmeln und, als sie ein paar Meter über einen Steinboden geführt worden war, das Stöhnen einer zweiten Person. Ein frischer Luftzug wehte um ihren Hals. Man legte sie ab – sie roch und spürte Heu. Ihr wurden die Handfesseln abgenommen, und sie vernahm, nachdem die quietschende Tür geschlossen wurde, das Geräusch eines Türriegels. Dann war Ruhe. Ohne sich die Kapuze vom Kopf zu ziehen, verkroch sich Leonora in eine Ecke und schloss die Augen.
16
Rom, 16. Juni, in der Engelsburg
Im privaten Studierzimmer Papst Alexanders VI. brannten auf vier ionischen Marmorsäulen ebenso viele siebenarmige Kerzenleuchter – ein Geschenk von Königin Isabella von Kastilien. Das erste Paar war aus der Synagoge von Granada entwendet worden, und das zweite entsprang der Plünderung des angrenzenden Palazzo Salviati. Zusammen mit römischen Statuen, deutschen Geldschränken, Kommoden und Kabinettschränkchen aus Genua und venezianischen Lüstern trugen sie zum eklektischen Stil der neuen Gemächer des spanischen Papstes bei, die er sich in der Engelsburg eingerichtet hatte. Im Nebenraum begleitete ein Lautenspieler ein Trio, das Bauernlieder anstimmte.
» Zwei süße, nackte Brüstchen / erschienen, Mairöschen gleich / im frischen Morgenlüftchen…«
Wie es ihnen der Zeremonienmeister seiner Heiligkeit befohlen hatte, sangen sie im Hintergrund, und die Frau versuchte möglichst leise, die Melodien zu trällern. Der Bariton hingegen verlor sich in einem tiefen Murmeln und erreichte die Ohren des Papstes wie ein fernes Donnern.
Als laute und heftige Schritte zu vernehmen waren, hörte der Lautenspieler kurz vor dem Finale auf. Auch die Frau hielt mitten in der Strophe inne. Nur der Bariton sang unbeeindruckt und im Crescendo weiter: »… doch meine Liebe bleibet / bis dass der Tod uns scheidet. «
Genau in diesem Moment tauchte Cesare Borgia mit seinem pockennarbigen Gesicht kurz in der Tür auf und verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war. Nur sein Parfüm stand noch etwas länger in der Luft. Der Zeremonienmeister hastete hinter ihm her und bedeutete den dreien zu verschwinden. Er schloss die Tür des Studierzimmers hinter sich, setzte sich in den kleinen Vorraum und holte sein Notizbüchlein hervor. Er würde nur das aufschreiben, was er selbst gehört hatte – so wie er es in den letzten 14 Jahren immer getan hatte. Wenn die Welt nicht gerade morgen unterging, durfte er auf Reichtum hoffen. Denn bereits jetzt waren seine Notizen für mehr als nur einen Monarchen bares Gold wert. Alexander VI. war schon der dritte Papst, dem er diente. Er musste sich nur vor der giftigen Cantarella in Acht nehmen und durfte sich nachts nicht herumtreiben – dann würde er möglicherweise sogar noch einem vierten dienen.
»Du riechst nach Braten.«
Papst Alexander hob nicht einmal den Kopf, denn er war gerade dabei, die Kostennote des Malers Pinturicchio zu kontrollieren, die der Künstler seiner Heiligkeit nach vollbrachter Übermalung seines Porträts präsentiert hatte.
»Das ist Duftwasser aus Ungarn, Vater«, antwortete Cesare ungehalten. »Der Kräutermischer verkauft davon einen Flakon für zehn Dukaten.«
»Es ist Lammsoße, ich rieche den Rosmarin heraus, der mehr schlecht als recht den Geruch des Weibes überdeckt, mit dem du gerade zusammen warst. Aber es ist nicht Sancha – an den erinnere ich mich nämlich nur zu gut.«
Cesare ignorierte die Anspielung auf seine Schwägerin und schnupperte misstrauisch an seinen Spitzenmanschetten und Fingern. Der Geruchssinn seines Vaters
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