Das Vermächtnis des Martí Barbany
Anweisungen des Alten wartete.
»Benutze deine schönste Schrift. Sag mir, wenn ich zu schnell bin.« Dann diktierte er:
Barcelona, September 1054
Werter Freund!
Ich schicke Euch diese Zeilen über meine Erzieherin Edelmunda, denn Aixa ist an der Brust erkrankt, und mein Vormund hat es für richtig gehalten, sie aufs Land zu schicken, damit sie sich erholt. Zeit und Entfernung helfen, die Dinge zu klären, und geben uns oft deutlich zu erkennen, wie kurz wir davorstanden, einem Irrtum zu verfallen. Ich glaube, dass uns die Nähe ein verzerrtes Bild bietet.
Ich bin noch sehr jung und unerfahren, aber Frau genug, um zu ahnen, dass ich beinahe einen schwerwiegenden Fehler gemacht hätte. Das Schlimmste ist, dass ich Euch mit hineingezogen hätte, sodass Ihr meines Ungeschicks wegen gelitten hättet, während ich Euch doch sehr hoch schätze.
Martí! Mein Herz achtet Euch als Freund, doch nicht als etwas anderes.
Mein Stiefvater, der äußerst sorgfältig darauf achtet, wem er seine Gastfreundschaft anbietet und wen er als Besucher in unserem Haus zulässt, hält sehr viel von Euch und hat mir einmal erklärt, ohne von unseren Begegnungen zu wissen, dass er voreilig gehandelt habe, als er Euch die Erlaubnis verweigerte, mir den Hof zu machen, denn gewiss werdet Ihr in Barcelona großes Ansehen gewinnen. Aber ich bin es, Martí, die klar erkennt, dass Ihr nicht der Mann seid, der mich glücklich machen könnte, und dass ich gewiss auch nicht die Frau bin, die zu Euch passt. Darum entbinde ich Euch von der Verpflichtung, die Ihr übernommen habt, und ich betrachte mich ebenfalls als von ihr befreit. Verzeiht den Kummer, den ich Euch womöglich bereitet habe, und entschuldigt meine Unerfahrenheit.
Seid glücklich und unternehmt nach Eurer Rückkehr nichts, um mich zu sehen. Meine Entscheidung ist endgültig.
Hochachtungsvoll, Eure Freundin
LAIA
Hierauf nahm der Ratgeber den Brief in die Hand, ohne abzuwarten, dass Laia die Schrift mit Streusand trocknete, und las ihn noch einmal aufmerksam und voller Wohlgefallen durch.
»Die Dinge sind, wie sie sind, Laia: Du hast bewiesen, dass du ein vernünftiges und gehorsames Mädchen bist. Gib mir das Siegel.«
Laia reichte ihm das kleine Siegel. Der Mann nahm eine rote Lackstange, die er zuvor am Docht einer brennenden Kerze erhitzt hatte, und ließ einen dicken Tropfen auf die Falte des Pergaments fallen. Dann nahm er den Stempel, drückte ihn auf den Lack und beglaubigte damit das Schreiben.
»Und jetzt sage mir: Wie hat es die Giftschlange angestellt, die ich eingesperrt habe, um ihm deine Mitteilungen zu schicken?«
Laia zögerte kurz, doch die Hoffnung, dass sie die Lage der Sklavin verbessern konnte, war stärker.
»Ich muss die Nachricht an Martís Geschäftsführer weiterleiten. Er heißt Omar.«
»Sehr gut«, sagte Bernat lächelnd. »Du machst einen Teil der Torheiten
wieder gut, die du begangen hast. Du wirst sehen, wie vorteilhaft es für dich ist, mir zu gehorchen. Wenn du dich weiter so verhältst, können sich deine Lebensbedingungen und damit die deiner Sklavin spürbar verbessern. Und damit du siehst, dass ich dich nicht belüge, gestatte ich dir, dass du sie besuchst. Dies allerdings in Begleitung Edelmundas.«
Mit diesen Worten, und nachdem er ihr den Nacken gestreichelt hatte, verließ Bernat Montcusí das Zimmer.
54
Die Niederkunft
D ie Geburtshelferinnen liefen im Zimmer hin und her und erledigten ihre Aufgaben, ohne sich um Zahl und Rang der Anwesenden zu kümmern. Im Himmelbett lag eine Wöchnerin von mehr als dreiunddreißig Jahren, die alle wegen ihres Alters für unfruchtbar gehalten hatten. In ihrer Ehe mit Hugo dem Frommen hatte sie ein Kind und in ihrer Verbindung mit Pons von Toulouse vier Kinder, drei Jungen und ein Mädchen, bekommen. Doch es schien, als läge die Zeit ihrer Fruchtbarkeit schon weit zurück, denn manchmal war ihr monatliches Blut ausgeblieben, und darum hatten sogar gelehrte Höflinge und der eine oder andere jüdische Arzt angedeutet, dass die Gräfin in die kritischen Jahre gekommen sei. Sie lag schweißüberströmt da, und ihre Lippen waren zu einem zwanghaften Lachen verzogen, während ihr Blick einen unumstößlichen Vorsatz zu erkennen gab. Die Hebamme war sich ihrer Verantwortung bewusst, und sie schloss nicht die Möglichkeit aus, grausam bestraft zu werden, wenn durch einen Fehler, den man ihr zuschreiben konnte, etwas nicht so ausging, wie es sein sollte. Ihre lange Erfahrung sagte ihr,
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