Das Vermächtnis des Martí Barbany
protestieren wollte. »Und schließlich soll Euch das fehlende Parfüm zeigen, dass die Zeit die Dinge auslöscht und dass Ihr sie vergessen sollt, weil sie Eure Gefühle nicht erwidern kann.«
»Ich verstehe Euch nicht«, sagte Martí in einem Ton, der unterdrückten Zorn bekundete. »Wie dürft Ihr unterstellen, dass ein Mädchen, das voller Unschuld und Güte ist, außerhalb der Mutter Kirche stehen kann?«
Llobet wusste, dass ihn sein delikater Auftrag zwang, höchst bedächtig zu Werke zu gehen. In diesem Augenblick beschloss er, nichts über das Kind zu sagen.
»Es ist beinahe zwei Jahre her, dass Ihr abgefahren seid, und in dieser Zeit sind die Feldfrüchte zweimal gereift und die Rosenblätter zu Boden gefallen und wieder hervorgetrieben. Ihr habt ein kleines Mädchen zurückgelassen und entdeckt nun, dass sie erblüht ist und zur Frau wurde.«
»Bitte verlegt Euch nicht auf Ausflüchte und redet klar.«
»Das will ich gerade. Aber sagt mir zuvor: Würdet Ihr Laia unter allen Umständen heiraten?«
»Gleich morgen, wenn sie mich nimmt«, antwortete Martí mit erregt geröteten Wangen.
»Dann hört zu. Es ist etwas Unvorhersehbares und zugleich Entmutigendes geschehen, was nichts Gutes über die Tiefen der menschlichen Natur sagt... Ein verheirateter Mann, und Don Bernat ahnt, dass er eine bedeutende Persönlichkeit ist, vielleicht der Sohn eines Adligen, hat Eure Laia entehrt. Ihr Stiefvater hat mir mitgeteilt, dass sich das Mädchen weigert, den Namen zu nennen. In ihrem Brief sagt sie Euch oder will Euch sagen, dass sie Euch noch immer liebt, denn sie ist sich bewusst, dass sie
sich verfehlt hat, als sie so etwas zuließ, und dass sie Eurer Liebe nicht würdig ist. Hieraus erklärt sich die andere Tintenfarbe. Und sie bittet Euch, dass Ihr Euch von ihr zurückzieht, denn sie hält sich Eurer für unwürdig und für eine erbärmliche Sünderin: Darum hat sie das Schreiben nicht mit dem Kreuzzeichen begonnen. Don Bernat bietet Euch die Hand seiner Tochter an. Er glaubt, dass Ihr ein vielversprechender junger Mann seid. Es kommt ihm überhaupt nicht in den Sinn, einen adligen Bewerber zu suchen: Er müsste sehr ausführliche und komplizierte Erklärungen über die verlorene Jungfräulichkeit seiner Stieftochter abgeben.«
Martí hatte sich verfärbt. Eisiger Schweiß rann ihm über den Rücken, und ein Kloß im Hals hinderte ihn, ein Wort hervorzubringen. Dann, mit einer heiseren Stimme, die ihm aus dem tiefsten Innern kam, rang er sich langsam zu einer Entscheidung durch.
»Ich liebe Laia. Sie ist der sanfteste und reinste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. Das wahre Maß der Liebe erkennt man in den Zeiten der Verwirrung und des Unglücks. Wenn sie mich liebt, und selbst wenn sie sich verfehlt hat, werde ich sie ganz gewiss heiraten.«
Eudald Llobet setzte hinzu: »Ich hatte nicht weniger vom Sohn Eures Vaters erwartet. Eure Entscheidung ehrt Euch. Ich habe es Euch nicht früher gesagt, weil ich Euch nicht beleidigen wollte, denn Ihr hättet denken können, dass ich Euch kaufen möchte: Montcusí will sich bei den Grafen dafür einsetzen, dass man Euch zum Bürger Barcelonas erklärt.«
»Was mich in diesem Augenblick am wenigsten kümmert, ist der Titel, den mir die Menschen verleihen wollen. Wenn ich hier kein Zuhause für Laia und für mich finde, so entdecke ich es irgendwo auf der weiten Welt. Sagt dem Ratgeber, dass ich seinen Vorschlag annehme.«
65
Sallent
G aia war nur noch ein Schatten. Geistesabwesend verbrachte sie ihre Tage, ohne dass sie das schlimme Unglück begreifen konnte, das über sie hereingebrochen war. Ihre Gedanken schwangen wie ein Pendel hin und her. Sie kapselte sich innerlich ab, wie sie wohl wusste, und entfernte sich so weit, dass sie zuweilen nicht einmal antwortete, wenn jemand sie ansprach. Trotz ihrer Jugend – sie war noch keine siebzehn Jahre alt – litt ihr Gedächtnis unter unergründlichen Lücken. Zu Hause verbreitete sich das Gerücht, dass sie von dem gleichen Übel betroffen sei, das ihre Mutter ins Grab gebracht hatte.
Von Barcelona aus war sie in Montcusís Reisewagen nach Sallent gekommen, begleitet von einer kleinen Wache, einem Arzt, einer Hebamme und der Anstandsdame. Edelmunda teilte ihr mit, sie habe Anweisungen erhalten, dass sie eingesperrt bleiben müsse, solange sie einen dicken Bauch habe, denn niemand dürfe von ihrer Schwangerschaft erfahren. Man richtete für sie ein Zimmer in einem Nebengebäude her, das an einem von hohen
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