Das Vermächtnis des Martí Barbany
Geheimnissen nichts wissen, bis sie großjährig geworden ist, und mir sagt meine Erfahrung, dass die Klugheit und Weisheit der Fürsten noch langsamer reift als die der einfachen Menschen. Und jetzt möchte ich wissen: Habt Ihr Baruch besucht?«
»Noch nicht. In der Rangordnung meiner Gefühle standet Ihr höher. Für morgen habe ich durch Omars Vermittlung ein Treffen mit ihm vereinbart. Er hat es mit seinem Eifer erreicht, dass mein Schiff schon mit vollem Laderaum zu seiner ersten Fahrt ausgelaufen ist und die entsprechenden Anweisungen mitführt, was es in den einzelnen Zwischenhäfen laden und entladen soll. Jofre ist ein guter Seemann. Die Voraussetzungen können nicht besser sein, und darum möchte ich eine der Mühlen von Magòria verkaufen und mit dem Geld zwei weitere Schiffe bauen. Übrigens muss ich Euch für die Taufe des Schiffs danken. Ich ahne, dass ihm der Name Eulàlia Glück bringt.«
»Ihr braucht mir nicht zu danken. Hoffentlich kommt es so.«
Nach dem langen Gespräch meldete sich in Martís Seele übermächtig jene Sehnsucht, die ihn wirklich zu diesem Besuch gedrängt hatte.
»Jetzt erzählt mir bitte, was mit Laia geschehen ist.«
Der Priester wunderte sich über die Art, wie Martí das heikle Thema ansprach.
»Sofort, aber sagt mir zuvor, was Euch veranlasst, mich und nicht ihren Stiefvater für denjenigen zu halten, der Euch darüber unterrichten soll.«
»Auf meiner ganzen Reise war Laias Bild mein Leitstern, und ich bin kein junger Bursche mehr. Wenn ich mich in dieser Stadt durchsetzen will, so nicht deshalb, um reich zu werden, das kann ich Euch versichern. Ihr kennt ja den Grund, warum ich Bürger Barcelonas werden möchte. Ich bin als Erstes zu Montcusí gegangen, sobald ich meine Füße auf den Küstensand gesetzt und mich zu Hause umgezogen hatte.«
»Und was hat er Euch gesagt?«
»Ich konnte ihn nicht sehen. Ein Verwalter hat in seinem Namen mit mir gesprochen und mir mitgeteilt, der Ratgeber sei für unbestimmte Zeit nicht in der Stadt, er richte mir jedoch aus, dass ich mich an Euch wenden solle, und hier bin ich.«
Pater Llobet dachte höchst sorgfältig über seine Worte nach, bevor er Martí schonungslos die Tatsachen darstellte.
»Es stimmt«, seufzte der gute Alte, »in gewisser Hinsicht bin ich ausersehen, mit Euch zu reden, Martí, doch vorher muss ich Euch bitten, dass Ihr mich über den Brief unterrichtet, den man Euch zugestellt hat. Ich muss wissen, ob Ihr ihn erhalten habt.«
Martí griff in seine Tasche, holte das zerknitterte Schreiben heraus und gab es dem Geistlichen.
»Lest, und danach sage ich Euch, was ich davon halte.«
Der Ordensbruder las aufmerksam, und bevor er seine Meinung mitteilte, bat er Martí, sich zuerst zu äußern.
»Was schließt Ihr daraus?«
»Immer wieder habe ich darüber nachgedacht... Ich ahne, dass sich zwischen den Zeilen etwas verbirgt, doch ich weiß nicht recht, was es sein mag.«
»Was glaubt Ihr, darin zu entdecken?«
»Gebt acht: Erstens war die Tinte, die Laia immer benutzt hatte, grün, und diesmal ist sie schwarz. Zweitens ist das Pergament nicht wie alle übrigen mit Rosenwasser besprengt, und das ist nicht auf den langen Zeitraum zurückzuführen, denn die vorherigen Briefe duften immer noch, und daraus schließe ich, dass sie diesen Brief nicht parfümieren wollte oder konnte, und achtet schließlich darauf, dass sie eine standhafte und fromme Christin ist und dass sie ihr Schreiben nicht wie sonst mit einem kleinen Kreuz beginnt. Glaubt mir, Eudald, Laia wollte mir etwas sagen, was ich zwischen den Zeilen nicht herauslesen kann.«
Der Domherr prüfte Martís Angaben sorgfältig nach, und dann begann er zu sprechen.
»Ich darf Euch nicht verheimlichen, dass ich mit Montcusí gesprochen habe. Doch meine lange Erfahrung als Bücherwurm weist mich auf etwas hin, was Euch vielleicht die Augen für eine andere Wirklichkeit öffnet, wenn ich Euch erzähle, was mir anvertraut wurde... Laia will Euch kundtun, wie ich aus der anderen Tinte schließe, dass ihre Botschaft in zwei Richtungen zu lesen ist, in der, die sie offen zeigt, und in einer anderen, die sich dahinter verbirgt: Ich glaube, sie bezieht sich darauf, wie sie die Zukunft sieht, die vorher grün, in der Farbe der Hoffnung, war und jetzt schwarz ist. Dazu kommt, dass das Kreuz im Briefkopf fehlt. Damit will sie angeben, dass die Umstände sie außerhalb der Kirche gestellt haben.« Mit einer Geste brachte er Martí zum Schweigen, der gerade
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