Das Vermächtnis des Martí Barbany
der Herr des Hauses eingetroffen war. Nach längerer Zeit ließ man Laia holen. Das Mädchen hatte sich nicht im Mindesten geschminkt oder zurechtgemacht, und ihre wirren Haare zeigten nicht die geringste Sorgfalt. Sie trug einen um die Taille gegürteten Hausrock und arabische Pantoffeln, als sie vor Bernat Montcusí erschien. Dieser machte ein ernstes und betrübtes Gesicht, und der Anblick seiner Pflegetochter bestärkte ihn in seinem Entschluss. Seine Habsucht und maßlose Gier hatten sich gegen die Lüsternheit durchgesetzt, die dieses zerzauste Geschöpf früher in ihm erregt hatte. Dennoch erschreckte ihn das Wetterleuchten des Wahnsinns, das sich in den grauen Augen der Frau spiegelte.
Laia trat mit herausforderndem Blick näher und blieb stehen. Sie empfand nicht mehr die ehrerbietige Furcht, die ihr dieser Schurke früher eingeflößt hatte.
»Setz dich. Ich bringe Neuigkeiten, die dich betreffen.«
Das Mädchen setzte sich dem Mann gegenüber, ohne ein Wort zu sagen.
»Also, man hat mir erzählt, dass du nicht den geringsten Schmerz gezeigt hast, als unser Kind gestorben ist.«
Das Mädchen dachte einen Augenblick über die Antwort nach.
»Ihr wollt sagen: Euer Kind. Ich habe es nur zur Welt gebracht.«
»Jede Frau, die ein Kind zur Welt bringt, wird Mutter, wenn ich mich
nicht irre, und es ist üblich, dass eine Frau, die all ihre Sinne beisammen hat, den Tod ihres Kindes bedauert. Selbst die Tierweibchen klagen und umkreisen ihre toten Jungen.« Hintergründiger Spott verschärfte die Worte des Ratgebers.
»Ein Kind muss die Frucht der Liebe zweier Menschen sein und nicht die des maßlosen Ekels, den ich für Euch empfinde. Ihr seht ja, welche Folgen das hatte.«
In diesem Augenblick glaubte Laia, dass sie falsch gehandelt hatte, indem sie den Zorn ihres Stiefvaters herausforderte, doch sie kümmerte sich nicht darum: In ihrem Innern fand die Furcht keinen Raum. Er konnte ihr nichts Schlimmeres mehr antun. Überrascht stellte sie fest, dass sich der Ton des Mannes nicht das kleinste bisschen veränderte.
»Die Folgen hast du deiner Haltung zuzuschreiben. Ich habe von meiner Seite aus alles getan, was sich für einen Mann gehört, während du dich nie wie eine Frau benommen hast. Aber vergessen wir die Beleidigungen und den alten Groll, weil es um unsere gemeinsamen Interessen geht. Ich glaube, was geschehen ist, war besser für alle – die göttliche Vorsehung macht manchmal den Weg frei. Selbst wenn du es nicht glaubst, bin ich um dein Wohl besorgt und bereit, großmütig zu sein, wenn du dich fügsam zeigst und meinen Anweisungen gehorchst.«
Laia wartete.
»Ich will dir eine gute Neuigkeit mitteilen: Dein Geliebter ist zurückgekehrt und in Barcelona.«
Ein Schwindelgefühl suchte das Mädchen heim, und nur ihre innere Kraft, die sie aus so vielen Leiden gewonnen hatte, verhinderte, dass sie in Ohnmacht fiel.
Mit staubtrockenem Mund erkundigte sie sich: »Und was geht das mich an?«
»Du wirst sehen: Die Dinge verändern sich je nach den Umständen, und was gestern schwarz war, kann heute weiß sein. Für meine Politik ist es günstiger, einen Verbündeten und keinen Feind zu gewinnen.«
Laias Herz klopfte stürmisch. Der Mann sprach weiter: »Ich will mich klar ausdrücken. Wenn ich für deine Ehe sorge, würdest du jedenfalls einen Mann und ich einen Schwiegersohn bekommen, der mir stattliche Gewinne einbringt. Allerdings muss das unter uns bleiben. Diese einzige Verpflichtung hat ein Mann zu erfüllen, der ein Mädchen genötigt hat: Nach dem Gesetz muss er sie heiraten, was du abgelehnt hast, oder aber ihr einen Ehemann verschaffen, und das habe ich getan.«
Laia konnte nicht glauben, was sie da hörte. Aber sie ahnte, dass sich hinter dem Angebot eine tückische Absicht verbarg.
»Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt, doch ich muss Euch daran erinnern, dass Ihr mich gezwungen habt, auf ihn zu verzichten. Mein Leben hat keinen Sinn mehr, und es ist nur noch etwas wert, wenn ich ins Kloster gehe. Martí würde es wie jeder Ehrenmann ablehnen, eine entehrte Frau zu heiraten.«
»Zum ersten Punkt möchte ich dir sagen, dass ein Vertrag einen anderen ersetzt, und zum zweiten, dass eine entehrte Frau aus einem Emporkömmling, wie es Martí Barbany ist, einen Bürger Barcelonas macht. Außerdem hast du eine beträchtliche Mitgift zu bieten, und so etwas ist sehr beachtlich.«
»Martí gehört nicht zu den Männern, die Ihr nach Belieben kauft und verkauft.«
»Lass mich nur
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