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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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Mauern umgebenen Hof lag. Ohne dass sie jemand anderen als den Arzt sehen durfte, brachte sie dort ihre Stunden zu und glaubte, wahnsinnig zu werden, bis die Fruchtblase platzte und sie niederkam. Die Entbindung dauerte beinahe zwei Tage, und in der Nebelwolke, die sie umfing, unter heftigen Schmerzen, die sie in halbe Bewusstlosigkeit versenkten, kam es ihr so vor, als sähe sie den Ratgeber am Fußende ihres Betts, als spräche er mit dem Arzt und zeigte auf das Bündel, das in dem Körbchen lag. Danach erinnerte sie sich, dass sie eine Tür zuschlagen hörte und hierauf völliges Schweigen eintrat. Doch als sie ganz aufwachte, war der Mann nicht mehr da. Der Arzt verabreichte ihr sogleich einen Arzneitrank, der das Einschießen der Milch verhinderte, und drei Tage später schnürte die Hebamme sie gewaltsam, damit sie
ihre Figur so schnell wie möglich zurückgewann. Zwei Wöchnerinnen aus dem Volk lösten sich ab, um das Kind zu stillen. Zuerst wollte Laia es gar nicht sehen und auch nicht wissen, ob es ein Junge oder Mädchen war. Eine Mauer des Schweigens umgab sie, und keiner sagte ihr etwas von dem Neugeborenen. Schließlich ließ sie sich von der Neugier überwältigen: Von widersprüchlichen Gefühlen gepeinigt, ging sie in das Zimmer, wo ihr Kind in einem Körbchen schlief. Entsetzt sah sie, dass das Kind, es war ein Junge, keine Arme hatte, und auf unbestimmte Art fühlte sie sich schuldig: Sie meinte, das sei die verdiente Strafe, weil sie durch ihre schreckliche Sünde ein Kind geboren hatte, und sie werde es zeitlebens vor Augen haben. Dieser Fleischklumpen war aus ihrem Schoß gekommen, und er hatte keine Schuld an seiner Herkunft. Trotzdem erinnerte sie seine bloße Anwesenheit an furchtbare Leiden und widerwärtige Heimsuchungen. Nun zerfraß ihr glühender Hass die Eingeweide, und sie gab sich finsteren Vorstellungen hin, wenn sie an den Säugling dachte. Es dauerte nicht lange, bis diese Wirklichkeit wurden, denn zwei Wochen später atmete das Kind nicht mehr. Sie empfand innerlich nichts, keinen Kummer und kein Herzeleid, doch in ihrem verstörten Geist zerriss eine weitere Bindung, und allmählich wurde sie von einer Zwangsvorstellung verfolgt: Sie war überzeugt, dass sie nie wieder ein Kind gebären würde.
    In geistesklaren Augenblicken hatte sie das Gefühl, als hätte man ihr eine Dolchklinge in den Leib gerammt. Nachts stand sie auf und lief durch den Hof. Sie trug ein weißes Nachthemd, und ihr Haar flatterte im Wind. Diese Erscheinung alarmierte die Posten – sie hatten sich zwar in tausend Schlachten gestählt, doch dieser gespenstische Schatten ängstigte sie. Was den Mauren an der Grenze nicht gelungen war, das erreichte der Aberglaube, und die Sagen von jenem Geist, der nachts auf dem Gut umging, wurden von den Wächtern maßlos aufgebauscht und weitererzählt.
    Als man Laia erlaubte, das Gebäude zu verlassen, nutzte sie die Dämmerung, um ihrer Kerkerwärterin Edelmunda zu entkommen, denn diese ließ sie tagsüber nicht aus den Augen. Sie stellte sich gern an die Westmauer, zwischen zwei Zinnen, und ihre Phantasie schweifte zügellos umher. Sie dachte an ihre Liebe, und es zerriss ihr das Herz, wenn sie sich daran erinnerte, dass man sie gezwungen hatte, auf ihren Geliebten zu verzichten, und dass sie ihn vielleicht nie wiedersehen würde.
    Ihr Verhältnis zu Edelmunda hatte sich verändert. Allmählich ahnte Laia, dass Aixa gestorben war und dass es darum gar nicht mehr schlimmer
kommen könnte. Und da sie ihr eigenes Schicksal völlig kaltließ, behandelte sie die Megäre mit grenzenloser Verachtung.
    »Herrin, seid so gütig und bereitet Euch vor. Euer Vater hat einen Boten geschickt und angekündigt, dass er heute Nachmittag kommt.«
    Laia erbleichte.
    »Ich mache mich nicht zurecht, nicht für deinen Herrn oder für sonst jemanden. Und jetzt lass mich in Frieden.«
    Die Anstandsdame zog sich zurück und murmelte dabei ein paar Worte, die mit Laias Wahnsinn zu tun hatten.
    Laia wurde nachdenklich. Was wollte dieser niederträchtige Kerl? Zu welchen arglistigen Mitteln würde nun sein ruheloser Geist greifen, um sie zu unterjochen? Noch war die vierzigtägige Schonfrist nicht zu Ende, und jenes kleine Ungeheuer, das sie nicht geliebt und nicht zurückgewiesen hatte, war gestorben, und es wäre entsetzlich, wenn ihr Stiefvater wieder nach ihr verlangte. Sie glaubte nicht, dass sie diese schändliche Zwangslage noch länger ertragen könnte.
    Am Nachmittag wurde gemeldet, dass

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