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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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stürzte zu dem Mädchen. Mit den Fingerkuppen seiner Mittelfinger befühlte er die große Halsader des Mädchens. Danach zog er ihre Lider hoch und betrachtete aufmerksam ihre Pupillen, wobei er das Licht eines Kerzenhalters an die Augen hielt. Hierauf betastete er sanft ihren Schädel und ihre Halswirbel.
    Der Arzt schüttelte den Kopf und zeigte damit, dass man nur noch für sie beten konnte.
    Bernats misstönende Stimme erklang: »Wozu seid Ihr da? Tut etwas, um Gottes willen!«
    »Ich bin nur ein einfacher jüdischer Arzt«, entgegnete Halevi.
    Montcusí wollte etwas sagen, als ihn Llobets Stimme und Ton zurückhielten. Der Erzdiakon blickte den Intendanten scharf an.

    »Wagt nicht, von Gott zu reden. Manchmal ruft er uns plötzlich zu sich, und dann beginnt eine Zeit, die ewig dauert. Die Flammen der Hölle unterscheiden nicht zwischen Reich und Arm. Denkt daran: Wenn das Spiel endet, landen Bauer und König in demselben Kasten.«
    Der Ratgeber ertrug eine Weile den feurigen Blick des Priesters, bevor er den Kopf abwandte.
    In dieser Zeit war Martí bei Laia geblieben. Für ihn gab es nichts außer ihrem erschöpften Gesicht, das, so schien es, den Frieden wiedergefunden hatte. Auf einmal öffneten sich die Augen des Mädchens wieder, und ihr Mund flüsterte: »Ich will nicht fort, ohne Euch um Verzeihung zu bitten... für den unermesslichen Schaden, den ich Euch zugefügt habe … Euch... und Aixa... Küsst mich, wenn Ihr mir verziehen habt... Auf meinem Weg will ich nur dieses Gepäck dabeihaben.«
    Mit tränennassen Augen beugte sich Martí zu ihr und drückte seine Lippen auf die des Mädchens. Auf ihrem Gesicht erschien ein ruhevolles Lächeln, und ihr Leben erlosch wie eine Kerzenflamme.

VIERTER TEIL
    Licht und Schatten

70
    Schlechte Vorzeichen
    Barcelona, Anfang 1057
     
    D elfín hätte sich niemals vorgestellt, dass das Schlossleben so schwierig sein könnte. Die Parteien waren deutlich festgelegt. Auf Almodis’ Seite standen Lionor und Delfín, Doña Brígida, Doña Bárbara und die Kinderfrau Hilda, die ihr Gatte ihr vom ersten Augenblick an zugewiesen hatte, dazu die Gruppe der getreuen Ritter, die sie aus Toulouse befreit hatten, ihr Beichtvater Eudald Llobet und jene Höflinge, die sich um Gunstbeweise bemühen und sich unweigerlich den Machthabern anschließen, um Vorteile zu erreichen und hochzukommen, wofür sie dem Meistbietenden ihre Unterstützung verkaufen. Auf der anderen Seite standen die Familien Barcelonas, die der verstorbenen Gräfin Elisabet zugetan waren, und die Anhänger der verstoßenen Blanca von Ampurias, diejenigen, die auf einen weiter entfernten Gewinn gesetzt hatten und dem zukünftigen Erben Pedro Ramón schmeichelten, dem Erstgeborenen des Grafen, einem Menschen mit unstetem und aufsässigem Charakter, der sich keine Mühe gab, seine Abneigung gegen die Frau zu verbergen, die die Gemahlin seines Vaters war. Ständig gab es Zwischenfälle aus den belanglosesten Gründen, mochte es nun um den Besitz eines Pferdes gehen, um das Geschenk für einen adligen Verbündeten oder die protokollarische Reihenfolge auf einem einfachen Pergament... Das zwang den Grafen, zwischen den Forderungen seines Sohns und dem Anspruch der Gräfin zu vermitteln, und dabei musste er zusehen, wie seine Autorität beeinträchtigt wurde, um wie ein Seiltänzer ein schwieriges Gleichgewicht zu bewahren.
    Diese Lage hatte dazu geführt, dass der Zwerg die Eigenschaft annahm, sich unsichtbar zu machen, und wenn er mit seiner Herrin nicht allein war, gab er sich größte Mühe, nicht aufzufallen. Als er die Schritte
des Grafen auf dem Gang eher ahnte als hörte, bat er deshalb sogleich um Entschuldigung.
    »Gnädige Herrin, wenn Ihr mich nicht braucht, gehe ich die Tauben füttern.«
    »Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen, Delfín? Ich kenne dich genau, mich kannst du schlecht hinters Licht führen. Warum liest du mir nicht das Ende der Geschichte vor, die du gestern begonnen hast?«
    »Herrin, der Graf kommt gleich.«
    Obwohl Almodis an die Fähigkeiten ihres Narren gewöhnt war, wunderte sie sich doch immer wieder, wenn dieser etwas vorausahnte.
    »Ich begreife nicht, wie dir so etwas gelingt. Ich habe nichts gehört.«
    »Das kommt vielleicht daher, dass seine Ohren näher am Boden sind, Herrin.«
    Diesen spöttischen Kommentar hatte Lionor abgegeben, die zusammen mit Bárbara an einem kleinen Spinnrocken ein Wollknäuel aufwickelte.
    Nun waren schon die Stimmen auf dem Gang zu

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