Das Vermächtnis des Martí Barbany
sevillanischen Hof, doch ich möchte, dass er den Glanz des Grafenhauses von Barcelona und den Reichtum der Stadt bewundert, damit er begreift, dass er mit einem gleichrangigen Herrscher verhandelt.«
»Das überlasst mir, Ramón. Wir Herrscherfamilien von jenseits der Pyrenäen haben die katalanischen Grafschaften stets bei Weitem übertroffen, wenn es um Feste, Troubadoure und Turniere geht. Euer feinsinniger Botschafter wird nach Sevilla heimkehren und seinem König berichten, wie er in Barcelona geehrt wurde. Am Hof Karls des Großen hat man nicht einmal in der größten Glanzzeit ein ähnliches Fest erlebt. Wenn Ihr den Botschafter ganz überwältigt habt, könnt Ihr für Eure Freundschaft und Euer Bündnis verlangen, was Ihr wollt: Er gibt es Euch sicher.«
71
Wahrheiten und Lügen
S eitdem Laia gestorben war, hatte Eudald Llobet seine Seelenruhe verloren. Er lief im Kreuzgang der Pia Almoina lange hin und her, ohne eine Lösung für die vielen Fragen zu finden, die ihn bedrängten. Die christliche Ergebenheit und Demut, zu denen sein Glaube ermahnte, rieten ihm zur Vorsicht, doch die Zweifel, die sein Gewissen in jener tragischen Nacht heimsuchten, waren inzwischen zu einem schrecklichen Verdacht geworden, den er mit niemandem teilen durfte. Montcusís Augen, Laias bruchstückhafte Worte, die Geschichte von dem angeblichen Adligen, der das Mädchen entjungfert hatte... Es gab viele Fragen, und der Domherr sehnte sich danach, die Wahrheit zu erfahren.
Als guter Kenner des menschlichen Gemüts nutzte Eudald die Gelegenheit, dass in diesen Tagen ein Jahr seit dem Tod des jungen Mädchens vergangen war. Er machte sich auf den Weg zu Montcusís prunkvollem Herrenhaus. Er war sicher, dass dieser Todestag auch den Geist des Ratgebers beeindruckt hatte, und er sagte sich, dass er ihn bei seinem Besuch vielleicht bereitfinden würde, die Wahrheit zu gestehen.
Als er zu Montcusís Haus kam, musste er einen Wagen vorbeilassen. Er wurde von einem Vierergespann gezogen und von sechs Männern bewacht. Seine Vorhänge waren heruntergelassen. Er fuhr gerade in diesem Augenblick aus dem Waffenhof des Herrenhauses Montcusís hinaus und hatte es offenbar sehr eilig, so sehr, dass die rechte Radnabe kräftig gegen den Sockel stieß, der den Bogen des Eingangstors stützte, obwohl der Fahrer laut schrie und heftig an den Zügeln riss. Als der Wagen vorbeigefahren war, betrat Eudald das Grundstück.
Ohne dem Wachposten Zeit zu lassen, Eudalds Ankunft zu melden, lief ihm der Pförtner entgegen. Der Geistliche genoss in diesem Haus hohes Ansehen.
»Willkommen, Herr Erzdiakon. Habt Ihr Euch mit meinem Herrn verabredet?«
»Dies ist nicht der Fall. Ich bin auf die Gefahr hin gekommen, dass er nicht zu Hause ist oder dass ich ihn nicht sehen kann.«
»Doch, er ist da. Aber erlaubt mir bitte, dass ich einen Boten schicke, um Euch anzukündigen. Ich darf nicht entscheiden, ob Don Bernat Euch sofort empfangen kann.«
»Das verstehe ich. Ich war ja so unhöflich herzukommen, ohne zuvor ein Treffen zu vereinbaren.«
»Ihr wisst schon, dass sich mein Herr Eurer annimmt, wenn er kann. Ihr seid in diesem Haus immer herzlich willkommen.«
Der Pförtner erteilte eine kurze Anweisung, und ein Diener lief ins Hausinnere. Beinahe auf der Stelle kehrte er zusammen mit dem diensthabenden Verwalter zurück.
Der Mann begrüßte den Priester ehrerbietig und bückte sich, um ihm die Hand zu küssen.
»Don Eudald, ich habe Euch aus einem Fenster im ersten Stock gesehen, und ich bin sogleich hinuntergekommen. Der Waffenhof ist nicht der richtige Ort, wo Ihr warten könnt. Don Bernat ist in seinem Arbeitszimmer. Heute Morgen hat er sich nicht wohl gefühlt. Jetzt wird er gerade damit fertig, ein paar Angelegenheiten mit seinem Sekretär Conrad Brufau zu besprechen. Ich melde Euch sofort. Ich glaube, es wird kein Problem geben.«
»Ihr seid sehr liebenswürdig.«
»Seid so gütig und folgt mir.«
Beide traten ein. Der Verwalter bat Pater Llobet, im Raum vor dem Arbeitszimmer des Ratgebers zu warten, und ging selbst hinein.
Aus dem großen Fenster des Raums sah Eudald Llobet auf den gepflegten Garten hinunter und dachte, er wäre lieber wie damals als Soldat in den Kampf gezogen, als ein solch unangenehmes Gespräch mit dem mächtigen Prohom zu führen.
Der Diener kam zurück.
»Don Bernat erwartet Euch. Er hat den Sekretär verabschiedet.«
Beide liefen über den Gang. Nach der vorschriftsmäßigen Ankündigung stand Eudald vor
Weitere Kostenlose Bücher