Das Vermächtnis des Martí Barbany
Gartenlaube. Seine Miene veranlasste alle drei, sofort aufzuspringen.
»Was ist geschehen?«, fragte Montcusí.
»Herr, ein großes Unglück«, stammelte der Verwalter.
Martí spürte einen stechenden Schmerz in der Brust.
»Laia...«, flüsterte er.
Die Haltung des Dieners bestätigte die schlimme Neuigkeit.
»Der jungen Herrin ist ein schweres Unglück zugestoßen.«
»Bei Eurem Leben, redet«, griff Eudald ein.
Der Mann fand die Fassung wieder und teilte mit: »Herr, Eure Tochter ist von der Mauer in den Hof gestürzt.«
Die drei Männer rannten in die angegebene Richtung. Bernat führte die Gruppe. Hinter ihm lief Martí, und der Erzdiakon schloss die Reihe ab.
Als sie ankamen, herrschte völliges Durcheinander. Eine Mauer aus Bewaffneten verhinderte, dass man etwas erkannte. Die Wachen umringten eine Gestalt, die auf dem Plattenboden des Hofes lag. Der Ratgeber
fuchtelte mit den Händen und drängte sich durch. Ihm bot sich ein bestürzendes Bild dar.
Mit verrenkten Gliedmaßen wie eine zerbrochene Puppe ruhte dort Laias Körper. Jemand hatte ihr ein Leintuch unter den Kopf gelegt. Dieses färbte sich nun mit Blut, das ihr aus dem linken Ohr rann. Der Blick des Mädchens schien nach jemandem zu suchen. Der Ratgeber rang die Hände und stieß einen wahnsinnigen Schrei aus.
»Jemand soll den Arzt Halevi benachrichtigen!«
Eudald kniete an einer Seite nieder und Martí an der anderen. Er nahm ihre erstarrte Hand. Der Erzdiakon drückte die Lippen an das Ohr des Mädchens.
»Laia, ich bin Pater Llobet. Ihr seid in schwerer Gefahr. Wolle Gott, dass Ihr gerettet werdet, doch wichtiger als alles ist Euer Seelenheil. Bereitet Eure Seele auf die große Begegnung vor, wenn dies der Wille Gottes ist.«
Laias Lippen bebten, ohne ein Wort hervorzubringen. Der Erzdiakon presste sein linkes Ohr an den Mund des Mädchens. Nun stieß sie stockende Worte hervor, die einen tiefen Eindruck bei dem Priester hinterließen. Je länger er dem Flüstern zuhörte, desto eindringlichere Seitenblicke warf er dem Ratgeber zu, der in einem Hofwinkel wie ein Klageweib wimmerte.
»Pater, ich sterbe...«
»Habt Vertrauen, Laia. Der Herr wird Euch in sein Reich aufnehmen. Bereut Eure Sünden.«
»Pater... Für mich gibt es keine Vergebung.«
Ihr Atem wurde immer pfeifender und stoßartiger.
»Die gibt es immer, Mädchen.«
»Ich habe gesündigt... Ich bin unrein...«
»Habt Ihr zugestimmt, Laia?«
»Man hat mich entehrt und danach genötigt und bedroht... Ich habe mich nicht der Wollust ergeben, doch ich habe die Frucht meines Leibes gehasst, und ich wollte eine Fehlgeburt herbeiführen.«
»Aber habt Ihr es getan?«
»Nein, Pater... Ich habe ein Ungeheuer geboren... das bald darauf gestorben ist.«
Eudald fühlte sich von dem Verlangen überwältigt, alle Hintergründe dieser entsetzlichen Geschichte zu erfahren.
»Euch ist vergeben, Laia. Sagt mir, wer Euch Gewalt angetan hat.«
»Ich kann nicht, Pater... Ich würde das Leben meines Geliebten zerstören.«
»Was Ihr mir sagt, wird mich ins Grab begleiten. Ich muss das Beichtgeheimnis wahren.«
Laia füllte ihre Lunge mit Nachtluft, und mit äußerster Anstrengung sprach sie wieder: »Ich liebe Martí zu sehr... Ich will nicht, dass ihm jemand schadet.«
Mehr benötigten Eudalds Erfahrung und scharfsinnige Intuition nicht. Er blickte zum Ratgeber hinüber, und etwas in seinem Innern sagte ihm, dass sein Verdacht zutraf. Nun fasste er seine Kenntnisse zusammen und begriff viele Argumente, die Bernat angeführt hatte, um seine Haltungsänderung zu rechtfertigen.
Kurz darauf verstummte Laia, und während ihr der Priester die Absolution erteilte, öffnete die Sterbende unter großen Anstrengungen wieder die Augen. Sie bekamen einen besonderen Glanz, und sie blickte zu ihrem Geliebten auf. Auf Llobets Anweisung näherte der junge Mann sein Gesicht dem Mädchen und hörte jene zögernden Worte, die er in seinen Träumen so lange herbeigewünscht hatte.
»Mein Geliebter... Ich gehe und bereite unser Haus vor... Ich musste zwischen dieser irdischen Welt und der anderen wählen... Ich wollte lieber dorthin, wo ich Eurer würdig sein kann... wo keiner unserer Liebe schaden kann... Lebt wohl, mein Geliebter... Ich warte die ganze Ewigkeit auf Euch.«
Ein Blutschwall überschwemmte ihren Mund, und ihre Augen schlossen sich. Martí heulte wie ein verwundetes Tier.
Das flackernde Licht mehrerer Fackeln eilte Halevi voraus. Der erfahrene Arzt öffnete seine Tasche und
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