Das Vermächtnis des Martí Barbany
empfunden hatte, zur fleischlichen Liebe eines Mannes zu einer Frau.«
»Soll das heißen, dass Ihr Eure Stieftochter entehrt habt?«, fragte der Priester, der beinahe nicht imstande war, den Ekel zu verbergen, den ihm diese Mitteilung einflößte.
»So einfach ist es nicht, Pater.«
»Redet weiter.«
»Ich empfand für sie eine unbeherrschbare Leidenschaft. Ich übertrug auf Laia das Gefühl, das ihre Mutter in mir erregt hatte, und trotz des Altersunterschieds schlug ich ihr die Ehe vor. Ich kämpfte dagegen an, und da ich mich nicht an Euch wenden konnte, habe ich unendlich oft in Santa María del Pi gebeichtet, obwohl ich keine Absolution erhielt.«
»Was ist geschehen?«
»Ich stellte fest, dass sie sich in Euren Schützling verliebt hatte, und die Eifersucht machte mir das Leben unerträglich. Ich zwang sie, einen Brief zu schreiben, der ihren Verehrer enttäuschen sollte, für den ich trotz dieses Vorfalls aufrichtige Sympathie bekunde. Und ich muss Euch gestehen, dass ich ihr Gewalt angetan habe.«
Pater Llobet bohrte sich die Fingernägel in die Handfläche, bis sie blutete.
»Das ist eine große Sünde, denn zu der schweren Tat kommt Eure Verantwortung als Pate hinzu.«
»Das weiß ich, und ich bereue es. Aber ich glaube, das ich das Notwendige getan habe, um es wiedergutzumachen.«
»Ja?«
»Als sie schwanger wurde, wollte sie das Kind nicht austragen, was ich verhindert habe. Ich habe mich verpflichtet, mich um das Kind zu kümmern. Es ist kurz nach der Geburt gestorben, und als sie sich weigerte, mich zum Mann zu nehmen, tat ich, was das Gesetz vorschreibt: Ich habe einen Mann gesucht, der sie heiraten wollte. Das könnt Ihr bezeugen.«
Llobet wartete, bis sein Herz wieder im normalen Rhythmus schlug.
»Jetzt passen die Teile des Verwirrspiels richtig zusammen. Erzählt weiter.«
»Alles war geregelt, wie Ihr wisst, aber der Geist des Mädchens verwirrte sich wie der ihrer Mutter in den letzten Tagen. So etwas trägt man im Blut... Ich weiß nicht, was ihr eingefallen ist. Das Ende kennt Ihr schon.«
»Erzählt mir von Aixa.«
»Auch das trug zu ihrem Wahnsinn bei. Obwohl ich ihr die Schuld
gebe, dass sie im Geist meiner Pflegetochter einen giftigen Samen ausgesät hatte, war ich nicht dafür verantwortlich, dass sie die Pest bekommen hat. Das zwang mich, sie von Laia zu trennen. Dann ist sie gestorben, und meine Kleine war sehr traurig darüber.«
In ihrem Gespräch trat eine Pause ein.
»Sagt mir, welche anderen Sünden Euer Gewissen quälen.«
»Ich kann versichern, das war alles. Im Übrigen diene ich den Grafen mit allem, was ich tue.«
»Kniet nieder, ich will Euch die Absolution geben.«
»Und damit das Leben.«
Montcusí kniete vor dem Priester nieder, und dieser sagte: »Ego te absolvo a peccatis tuis...«
Danach standen beide auf.
Als sie schon an der Tür waren, sagte der Ratgeber wieder etwas, und in seiner Stimme konnte man einen triumphierenden Unterton wahrnehmen.
»Denkt daran, dass ich unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses gesprochen habe: Unter keinen Umständen darf jemand erfahren, was hier gesagt wurde.«
»Kümmert Euch darum, Eure Christenpflichten zu erfüllen, und ich kann mich um die Pflichten kümmern, die mir als Diener Gottes zukommen.«
»Geht mit Gott, Pater Llobet.«
»Gott schütze Euch, Bernat.«
Der Erzdiakon entfernte sich mit einem recht unbehaglichen Gefühl. Er spürte, dass ihn der verschlagene Ratgeber benutzt hatte, um sein Gewissen zu beruhigen und sicher sein zu können, dass seine schändliche Tat im tiefsten Beichtgeheimnis bewahrt blieb.
72
Ich bin jetzt eine Frau
R uth, die inzwischen sechzehn Jahre alt war, hatte ihren Vater um die Erlaubnis gebeten, mit ihm in seinem Arbeitszimmer zu sprechen. Der alte Mann wunderte sich über die sonderbare Bitte, denn er sah Batsheva und Ruth – die zwei Töchter, die noch im Haus lebten – jeden Tag und zu jeder Zeit, und alles, was besprochen wurde, kannten beide Eheleute. Ein Jahr zuvor hatte Esther, die älteste Tochter, Binyamin Haim, den Sohn eines befreundeten Rabbiners, geheiratet und war nach Besalú gezogen, wo die Familie ihres Mannes zu Hause war. Da er Ruths energischen Charakter kannte und wusste, dass sie ihren Vorsatz nicht aufgeben würde, bestellte er sie für den nächsten Sabbat, dann würde ja seine Frau mit ihrer anderen Tochter die Synagoge besuchen, während sich Ruth eine Entschuldigung ausdenken könnte, um nicht an der Zeremonie teilzunehmen, bei der
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