Das Vermächtnis des Martí Barbany
Vielleicht gefällt dir vorläufig keiner, aber sicher kommt der Tag, an dem...«
»Das ist ein unwiderruflicher Entschluss, Vater. Ich heirate keinen von diesen jungen Männern.«
»Du bist verrückt! Du kommst zu mir und beklagst dich, dass ich dich wie ein kleines Mädchen behandle, und dann erzählst du mir einen Haufen Dummheiten... Ohne dass du überhaupt eine Erklärung anbietest.«
Ruths Lippen umspielte ein Lächeln, das nicht frei von Stolz war.
»Als Frau, die ich bin, Vater, bitte ich Euch, dass Ihr meinen Entschluss achtet, ohne Fragen zu stellen. Ihr werdet die Wahrheit schon zur rechten Zeit erfahren.«
»Was sagst du da?«
Ruths Wangen erröteten, und ihr Blick schweifte zum Ende des Zimmers ab.
»Ich kann keinen von ihnen heiraten, Vater, weil mein Herz schon einen Herrn hat.«
Benvenist stand von seinem Stuhl auf, verschränkte die Hände auf dem Rücken und lief durch den Raum.
»Darf man erfahren, wer es ist?«
»Vorläufig nicht, Vater. Aber ich will Euch gegenüber aufrichtig sein und Euch mitteilen, dass der Mann, den ich liebe, kein Jude ist.«
Baruch starrte seine Tochter bestürzt an.
»Weißt du, dass das eine unmögliche Liebe ist?«
»Nichts ist unmöglich.« Ruth erhob sich und blickte ihrem Vater direkt in die Augen. »Wenn es sein muss, gebe ich meine Religion auf.«
Überrascht und verärgert näherte sich Baruch seiner jüngsten Tochter. Seine Miene zeigte deutliche Missbilligung. Ohne den Blick abzuwenden, sprach Ruth weiter: »Ich glaube, es ehrt mich mehr, wenn ich aus Liebe und nicht aus Interesse den Glauben wechsle, wie es so viele von Euren Glaubensgefährten getan haben, aus Habsucht und um am Hof des Grafen Ramón Berenguer und der Gräfin Almodis aufzusteigen, die übrigens ihre Religion auch nicht allzu ernst genommen und jahrelang zur Empörung ihrer Untertanen im offenen Konkubinat gelebt haben.«
Baruch stürzte zum Fenster und schloss es erschrocken.
»Ruth, bitte! Gib acht, was du sagst. Wir Juden haben schon genug Probleme, als dass du deine Meinungen bei offenem Fenster hinausposaunst, sodass sie unpassenden Lauschern zu Ohren kommen. Du bestehst darauf, dass man dich als Frau behandelt, und du redest mit der Sorglosigkeit eines Mädchens...« Da er ahnte, dass eine Zurechtweisung die Dinge nicht verbessern würde, entschied er sich dafür, wieder auf sie zuzugehen und sehr ernst mit ihr zu reden. »Ich muss dir sagen, dass deine Mutter und genauso wenig ich eine solche Verbindung billigen werden.«
»Ich bin sechzehn Jahre alt, Vater. Ich bin nicht gekommen, um Eure Erlaubnis zu erbitten. Ich bin nur gekommen, um Euch meinen Entschluss mitzuteilen. Ich möchte in dieser Welt glücklich werden und nicht auf das Jenseits warten, das ich nie gesehen habe. Ich nicht und auch sonst niemand.«
»Ruth, ich wollte nicht so weit gehen, aber du lässt mir keinen anderen Ausweg. Ich verbiete dir, dass du diese Liebschaft...«
»Ihr könnt mir gar nichts verbieten, Vater«, unterbrach ihn Ruth. »Und ich sage Euch noch etwas: Er weiß noch nicht, dass ich ihn liebe, doch wenn er eines Tages meine Liebe erwidert, dann wird mir hier auf
Erden dieser Himmel zuteil, den ihr, Christen, Juden und Muslime, verkündet. Und ich versichere Euch, dass ich nicht die Hände in den Schoß lege und abwarte: Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um das zu erreichen.«
»Willst du mich vor Kummer umbringen?«
»Ihr sollt wissen, dass Euer Kummer mein Glück sein kann. Wenn Ihr sagt, dass Ihr mich liebt, müsst Ihr wählen.«
Danach stand das Mädchen auf, machte einen Knicks, ging aus dem Zimmer und ließ Benvenist sprachlos zurück.
73
Erinnerungen in neuem Licht
E udald Llobet sah, dass sich Martí ganz in seine Arbeiten vertiefte. Darüber freute er sich, denn so wusste er, dass ihn die Trauer inzwischen etwas weniger bedrückte. Er hatte über Montcusís Bekenntnis lange nachgedacht, und ihm war klar, dass ihm seine Pflicht als Priester verbot, es zu verraten. Da er jedoch deutlich erkannte, wie unendlich betrübt Martí war, beschloss er, sich eine Geschichte zurechtzulegen, die aus Wahrheiten und der einen oder anderen frommen Lüge bestand. Er hoffte, dass sie den gepeinigten Geist des jungen Mannes von vielen Zweifeln befreien würde.
Sie unterhielten sich am Strand, den Martí an jedem Abend aufsuchte, um das Beladen und Entladen der Schiffe zu beaufsichtigen, wenn eines, das ihm gehörte, dort vor Anker lag. Mit dem letzten, das er gemietet
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