Das Vermächtnis des Martí Barbany
meiner Tochter galt und sie tot war? Was die Augen betrifft, so sage ich Euch, dass nicht ich als Erster auf den Einfall gekommen bin, einen Verräter zu blenden. Schon in den Punischen Kriegen schnitt man jedem Karthager, der spionieren wollte, die Zunge ab und riss ihm die Augen aus … Und man hat mich in meinem eigenen Haus ausspioniert!«
»Ihr seid ein Zyniker!«
»Gebt acht, was Ihr sagt! Ich habe lediglich verhindert, dass die Person, die mir mit ihren Worten so sehr geschadet hatte, es in Zukunft wieder tun könnte. Außerdem führt es zu nichts, weiter über eine Sklavin zu streiten, die Ihr andererseits zurückbekommen habt. Ich schlage Euch vor, dass wir die Sache als erledigt ansehen. Wir haben zu viele gemeinsame Interessen, als dass wir es nicht verstehen sollten, Freundschaft und Geschäfte auseinanderzuhalten.«
»Wir hatten Geschäfte. Jetzt vereint uns nichts mehr, außer dem Hass, den ich für Euch empfinde. Ich teile Euch lediglich mit, dass Ihr Euch von den saftigen Einnahmen verabschieden könnt, die Ihr bisher von
mir erhalten habt. Es ist Schluss mit den Sinekuren, und es ist vorbei mit Euren Steuereinnahmen aus dem schwarzen Öl. Was das Erste betrifft, so habe ich alles verkauft. Sicher versteht Ihr, dass ich dem neuen Eigentümer nicht gesagt habe, er müsse die Waren mit einem festen Steuerbetrag belasten, weil der Intendant für Versorgung seinen Anteil verlange, und was das Zweite angeht, müsst Ihr den Veguer danach fragen, mit dem ich schon die Lieferungen für die nächsten fünf Jahre ausgehandelt habe.«
»Dann ist Schluss mit Euren Möglichkeiten, in der Stadt Geschäfte zu machen.«
»Ich brauche Euer Einverständnis nicht. Vergesst nicht, dass die Ware in meinen Schiffen eintrifft.«
»Soll ich das so verstehen, dass Ihr mich herausfordert?«
»Fasst es so auf, wie Ihr wollt.«
»Wenn Ihr mit heiler Haut davonkommen wollt, nachdem Ihr ein mir gehörendes Gut überfallen und eine Sklavin geraubt habt, von der ich trotz allem, was Ihr behauptet, beweisen kann, dass sie in meinem Haus gedient hat, und wenn Ihr mir schaden wollt, dann seid Ihr wahnsinnig.«
»Ihr habt Laia und ihre Mutter in den Wahnsinn getrieben. Bei mir gelingt Euch das nicht.«
»Ihr wagt es, mir den Krieg zu erklären?«
»Nehmt es, wie es Euch gefällt. Bisher habt Ihr nur einen wirtschaftlichen Schaden erlitten, aber Ihr sollt wissen, dass ich keine Ruhe gebe, bis ich Euren Namen mit Schande bedeckt habe.«
Martí Barbany drehte sich um, nahm seinen schwarzen Mantel und verließ das Arbeitszimmer des Ratgebers. Er wusste genau, dass er einen Kampf mit ungewissem Ausgang begonnen hatte. Er spürte, dass hinter ihm ein graues Augenpaar liebevoll und dankbar auf ihn gerichtet war, das ihn stumm von einem Bildnis herab betrachtete.
87
Der Geiselaustausch
D er Glocke der Santa-Eulalia-Kathedrale schlossen sich alle übrigen der Stadt an. Sie verlangten stürmisch, dass Bewaffnete zum Bereich der Synagoge eilen sollten. Die Straßen füllten sich mit Bürgern, die alle möglichen Waffen trugen: Heugabeln, Hacken, Bogen, Lanzen, Messer, Keulen … und die Laienbruderschaften stellten sich an den ihnen zugewiesenen Orten auf. Rund um die Plätze der Stadt wimmelte es von Menschen, die herbeieilten, ohne dass sie den Grund des Befehls kannten. Es war nur klar, dass das Sturmläuten die Bruderschaften hergerufen hatte und dass jeder verpflichtet war, diesem Befehl zu gehorchen.
Martí war Anführer der Arbeiter in den Schiffszeughäusern und machte sich fertig, sobald er das Glockenläuten hörte. Omar, Andreu und Mohammed, der nun schon ein junger Bursche war, folgten ihrem Herrn.
Beinahe ohne anzuklopfen, kam die verängstigte Ruth herein.
»Was geht da vor sich, Martí?«
»Ich weiß so viel wie Ihr. Für mich steht nur fest, dass ich mich bewaffnen und möglichst schnell auf dem Platz bei der Synagoge erscheinen muss, um meine Arbeiter zu kommandieren.«
»Und dann?«
»Uns ist das Regomir-Tor zugewiesen. Wenn nichts anderes befohlen wird, muss ich dort sein und es verteidigen.«
»Aber das ist doch gar nicht Eure Aufgabe! Sind die Feudalherren nicht für so etwas da? Wozu sind sie sonst gut? Die Arbeit entwürdigt sie in Friedenszeiten, und wenn man kämpfen muss, bitten sie alle Bürger um Hilfe. Welchen Grund haben dann all die vielen Privilegien?«
»Das würde zu weit führen, Ruth. Ihr verlangt, dass ich die ruhmreiche
Geschichte dieser Stadt in einem kurzen Augenblick
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