Das Vermächtnis des Martí Barbany
und ich habe ein Amt angenommen.«
»Dann könnt Ihr Euch als entlassen ansehen, und das habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben!«
»Das ist nicht nötig. Bevor ich hergekommen bin, hatte ich schon daran gedacht, Euch die Schlüssel Terrassas zurückzugeben.«
Fabià von Claramunt legte nun einen Schlüsselbund mit allen Schlüsseln für die einzelnen Teile des Guts auf den Tisch und verließ das Zimmer.
85
Die stumme Stimme
S ehr langsam erholte sich Aixa von den Folgen der Jahre, die sie in jener Hölle verbracht hatte. Der Arzt Halevi besuchte jeden Morgen die schlimm zugerichtete Frau und staunte, wie widerstandsfähig ihr Körper war und welche Seelenstärke sie bewies. Niemand hätte unter solch unmenschlichen Bedingungen überlebt, in dieser Einsamkeit und mit den Leiden, die ihr die schreckliche Blendung und das Herausreißen der Zunge bereitet hatten. Der einzige Mensch, der sie in dieser Zeit besucht hatte, war ihr Kerkermeister. Er brachte ihr jeden Tag eine Suppe, in der einige zerkleinerte Speisen schwammen. Bernat Montcusí wollte offenkundig erreichen, dass sie diese Marter lange Jahre überstand. Als ihr Martí erklärte, wie Laia geendet hatte, erschien eine zitternde Träne in ihren leeren Augenhöhlen, und ihrer Kehle entrang sich ein herzzerreißendes Stöhnen.
Ruth litt stumm, und ihr gutes Herz drängte sie, sich um diese hilflose Frau zu kümmern, indem sie deren Wünsche erriet und ihnen zuvorkam. Nach der Geschichte, die ihr Martí erzählte, hatten die beiden Frauen im Lauf der Zeit eine Geheimsprache ersonnen, die aus einer leichten Berührung des Handrückens und einem zustimmenden Kopfnicken Aixas bestand. Ruth begriff, welch unermessliches und vergebliches Opfer Laia aus Liebe zu ihrer Freundin auf sich genommen hatte. So kam Ruth zu dem Schluss, dass sie sich Illusionen hingab: Sie hätte es vorgezogen, mit einer Frau aus Fleisch und Blut um Martís Liebe zu kämpfen, statt sich gegen das Andenken an dieses Phantom wehren zu müssen, das von der unvergänglichen Aura der Abwesenheit und des Opfers umgeben war.
Nach dem Abendessen plauderten Martí und Ruth wie gewöhnlich unter den Arkaden der hoch gelegenen Terrasse, von der aus man den
Strand erblickte, wo gerade zwei der zwölf Schiffe lagen, aus denen Martís Flotte inzwischen bestand. In diesen Jahren hatte man zwei Schiffe verloren: eines bei einem Sturm und das andere bei einem Piratenüberfall.
»Ich muss immer daran denken, wie weit die Bosheit der Menschen geht, Martí. Wilde Tiere töten, um zu fressen, aber sie erfreuen sich nicht an dem Hass, indem sie willkürliche Grausamkeiten wie die begehen, die Aixa erlitten hat.«
»Ihr seid ein kleines Mädchen, Ruth. Der Mensch ist gewalttätiger als die Wölfe. Dass es die Sklaverei gibt, ist mir schon an sich widerwärtig, und obwohl ich nicht gegen die herrschenden Sitten verstoßen darf und Sklaven habe, möchte ich ihre Lage verbessern, soweit das möglich ist. Ihr wisst ja, wie man sie in diesem Haus behandelt.«
»Dafür ist auch mein Vater immer eingetreten. Außerdem kann in unserer Zeit der, der heute frei ist, morgen in diese traurige Lage geraten, weil ihm auf See ein Unglück zustößt, weil die Piraten einen Überfall auf die Küste unternehmen oder weil er bei einem Grenzkrieg zur Beute gehört. Übrigens, ich habe gehört, dass die Truppen aus Murcia zurückgekehrt sind. Habt Ihr etwas von dem Ratgeber erfahren?«
»Noch nicht. Aber darauf warte ich dringend«, sagte Martí mit wütend funkelnden Augen.
»Nehmt Euch in Acht, Martí. Dieser Mann hat bewiesen, wozu er fähig ist, als er Aixa das angetan hat: Er besitzt große Macht und kann Euch schlimmen Schaden zufügen.«
»Ihr redet wie Pater Llobet. Habt keine Angst: Ich bin nicht mehr der Junge, der vor sechs Jahren nach Barcelona gekommen ist. Ich habe mich in der halben Welt umgesehen. Ich kann gut auf mich aufpassen. Er hat kein Interesse daran, dass diese Geschichte bekannt wird, denn das brächte ihn um seine Ehre.«
»Solche Sachen muss man beweisen. Es reicht nicht aus, dass Ihr sie für sicher haltet. Ich habe Angst.«
Martí streichelte ihr übers Kinn.
»Reden wir über Eure Angelegenheiten. Andreu hat mir erzählt, dass Euch Eure Mutter besucht hat.«
»Nach dem Mittagessen, Ihr wart gerade erst fortgegangen. Sie war einigermaßen besorgt und hat gesagt, dass mein Vater Euch sehen möchte.«
»Hat sie Euch den Grund genannt?«
»Nichts, nur, dass es nicht dringend ist. Außerdem
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