Das Vermächtnis des Martí Barbany
warum ich vorgeladen bin?«, erkundigte sich Martí, als sie, von einem Kammerherrn geführt, durch die Gänge liefen.
»Ich weiß nichts, doch meine Ahnung und meine Erfahrungen mit den Palastsitten sagen mir, dass es etwas Gutes zu bedeuten hat.«
»Gott erhöre Euch. Aber ich fürchte diese Leute. Sie sind wie die Sonne: Man muss immer Abstand wahren. Fern von ihnen erfriert man, und wenn man zu nahe ist, verbrennt man. Bei Hofe ist es besser, nicht aufzufallen.«
»Eure Bemerkung trifft nicht ganz zu. Ich selbst besuche oft die Gemächer der Gräfin, und seht, wie ruhig und unbefangen ich bin.«
Nun gelangten sie zu den Türen, die zu Almodis’ Privatgemächern führten.
Als der Türhüter den Priester erblickte, der zu jeder Zeit freien Zugang im Schloss hatte, öffnete er die Tür, ohne ihn vorher anzumelden, womit er die Hochachtung bekundete, die der Geistliche bei all jenen genoss, die der Gräfin dienten.
Eudald Llobet ging voran, und Martí folgte ihm. Almodis’ persönliche Besuche wurden ohne Rücksicht auf das strenge Hofzeremoniell vorgelassen. Doña Lionor, ihre erste Hofdame, Doña Brígida und Doña Bárbara, Delfín und ein Pudel, eines der letzten Geschenke ihres Gemahls, sollten dem Geschehen als Zeugen beiwohnen.
Eudald sprach die Gräfin schon von der Tür her an.
»Mit Eurer Erlaubnis, Herrin.«
Almodis legte ihre Handarbeit zur Seite und lächelte liebenswürdig.
»Kommt näher, mein guter Freund. Eure Anwesenheit kündigt stets angenehme Augenblicke an. Wie ich sehe, begleitet Euch eine der wenigen Persönlichkeiten dieser Stadt, in deren Schuld ich stehe.«
Beide Männer beugten das Knie, als sie zu der Stufe vor dem Thron gelangten.
Martí konnte es sich nicht versagen, auf die Schmeichelei der Gräfin zu antworten.
»Herrin, ich werde immer in Eurer Schuld stehen.«
Almodis staunte über das zwanglose Auftreten ihres Vasallen.
»In diesem Fall verhält es sich anders. Es gehört zu den unentbehrlichen Fähigkeiten eines Herrschers, sich an die Versprechen zu erinnern, die er seinen Untertanen gibt, und sie selbstverständlich zu erfüllen.«
Martí wartete gespannt.
»Erinnert Ihr Euch an das Versprechen, das ich Euch gab, als der Gesandte des Königs von Sevilla kam?«
»Gewiss, Herrin. Aber das war keine Verpflichtung: Ich habe es vielmehr als Ausdruck der freudigen Hoffnung aufgefasst, dass die Stadt einen feierlichen und neuartigen Anblick bieten würde.«
»Nun, es war ein Versprechen. Nachdem ich weitere Auskünfte erhalten hatte, habe ich beschlossen, noch mehr zu tun, und ich bedaure, dass inzwischen so viel Zeit vergangen ist. Die Aufgaben meines Gemahls, des Grafen, und der Feldzug nach Murcia haben diesen höchst bedeutsamen Moment allzu lange hinausgezögert.«
Als erfahrene Diplomatin machte sie hier eine Pause, um die Wirkung zu erhöhen, und nachdem sie die Aufmerksamkeit beider Besucher ganz auf sich gelenkt hatte, sprach sie weiter: »Ich habe erschöpfende Berichte über Euch eingeholt, und ich muss sagen, dass ich niemals so viele Lobesworte über einen Menschen gehört habe. Deshalb erkläre ich Euch hiermit zum voll berechtigten Bürger Barcelonas mit allem, was zu diesem Titel gehört.«
»Herrin, ich …«
»Hat Euch Euer Mentor nicht unterrichtet, dass es den Vorschriften widerspricht, die Gräfin zu unterbrechen? Nun, angesichts Eurer Unerfahrenheit in solchen Dingen will ich es Euch nicht ankreiden. Ich erkläre
weiter: Ich habe den Grafen um eine hochherzige Geste ersucht, die dieses Ereignis besonders hervorhebt, und somit überreiche ich Euch die Auszeichnung, die Euren neuen Stand garantiert, und außerdem, obwohl ich genau weiß, dass gerade Ihr es nicht nötig habt, gebe ich Euch ein Säckchen mit Münzen, damit Ihr sie in meinem Namen unter den Dienern Eures Hauses verteilt und auch sie Euren guten Stern feiern. Pater Llobet wird Euch über die Vorrechte unterrichten, die Euch von nun an zustehen.«
Die Gräfin klatschte kurz in die Hände, und sogleich erschien ein Page. Er brachte auf einem scharlachroten Kissen eine Medaille aus Gold und Email, die an einem Seidenband mit den gelben und roten Balken hing, und dazu einen kleinen scharlachroten Samtbeutel, auf dem das Grafenwappen eingestickt war.
»Tretet näher.«
Nachdem ihn der Domherr mit dem Ellbogen angestoßen hatte, näherte Martí sich mit geneigtem Kopf dem erhöhten Platz.
Mit feierlicher Geste legte ihm Almodis das Band um den Hals und übergab ihm den
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