Das Vermächtnis des Martí Barbany
ist.«
»Dieser Mann ist das arglistigste und niederträchtigste Ungeziefer, das ich jemals kennengelernt habe. Ich glaube, der Zorn, den er in mir weckt, ist größer als der Hass, den er mir gegenüber empfindet: Ich kann nicht verstehen, wie er das Wohlwollen des Grafen gewonnen hat.«
»Das sage ich Euch. Er hat sich der Schmeichelei als Waffe bedient, wie dies jeder Höfling tut, der bei Hofe vorankommen will. Die Mächtigen können einen Monat ohne Essen, eine Woche ohne Trinken und nur einen Tag ohne Schmeicheleien auskommen. Doch ich sage es Euch noch einmal: Nehmt Euch vor ihm in acht, und verliert ihn nicht aus den Augen. Er hat Euch nicht vergessen, und er weiß genau, dass Ihr darauf brennt, Euch an ihm zu rächen. Und er möchte sicher als Erster zuschlagen, wenn er kann. Aber kümmern wir uns um unsere Angelegenheit. Was wollt Ihr tun?«
»Ich weiß nicht, welches Feuer ich zuerst löschen soll, und darum bitte ich Euch um Euren klugen Rat.«
Der Geistliche wartete etwas, um nachzudenken, und äußerte sich vorsichtig.
»An erster Stelle steht Ruth. Ich weiß, dass Ihr sie schätzt, und wenn die Umstände nicht so ungünstig wären, erschiene es unannehmbar, dass Ihr die zweite Gelegenheit vorübergehen lasst, die Euch das Leben bietet, und dass Ihr Euer Glück mit Füßen tretet. Trotzdem sind die Dinge, wie sie sind, und der Weg ist voller Hindernisse, die sich vorläufig nicht überwinden lassen.«
Martí war einen Augenblick verwirrt.
»Aber ich habe Euch nie gestanden, dass …«
»Martí, ich habe auf vielen Posten gewacht und zu viele graue Haare bekommen, und ich wäre allzu stumpfsinnig, wenn ich die Krankheit nicht bemerkte, die jeden Menschen früher oder später befällt. Ich weiß, dass Ihr Laia geliebt habt. Aber Laia ist tot, und das Leben geht weiter.«
»Nun gut, ich gestehe Euch: Laia war ein von der Schwierigkeit und der Entfernung verschönter Jugendtraum, an dem ich vielleicht übermäßig festgehalten habe. Ihr Tod war etwas Schreckliches für mich, das mich tief geprägt hat, und mein ganzes Leben werde ich ihr Bild im Herzen bewahren, doch als ich es am wenigsten erwartete, hat dieses Mädchen in mir Gefühle erweckt, die, wie ich glaubte, nie wiedererstehen würden. Ich muss zugeben, dass ich nie jemandem so vertraut und Tag für Tag besser kennengelernt habe, jemanden mit Ruths Vorzügen, ihrem Gerechtigkeitssinn, ihrer Entschlossenheit, ihrer Lebensfreude und ihrem Talent, in jedem Umstand etwas Positives zu entdecken. Sie hat mit ihrem Charakter bewirkt, dass mein Heim heute ein Ort der Freude ist, während er gestern eine Einöde war. Ihre Gegenwart hat in mir etwas geweckt, was ich schon für tot gehalten hatte.« Hier machte Martí eine Pause. »Trotzdem, alles, was ich gesagt habe, gilt nichts. Es gibt zu viele unüberwindliche Probleme.«
»Ein Problem kenne ich, andere nicht, und es ist besser, dass Ihr freiheraus sagt, was Ihr im Innern bewahrt.«
»Erstens habe ich ihrem Vater geschworen, dass ich sie immer respektieren werde und dass sie bei mir sicher ist. Sollte ich sein Vertrauen missbrauchen und den Schwur brechen, so wäre ich ein Schurke, und die Gewissensbisse würden mich keinen Augenblick in Ruhe lassen.«
Der Domherr nickte bestätigend.
»Ich verstehe Euch, und selbst wenn Baruch stirbt, dürft Ihr einen Schwur nicht ohne zwingenden Grund brechen. Es bleibt Euch nichts anderes übrig, als Euer Glück zu begraben. Außerdem ist sie Jüdin, und Ihr seid Christ.«
»Gewiss, doch wenn dies das einzige Hindernis wäre, so weiß ich nicht recht, wie ich mich dann entscheiden würde.«
»Würdet Ihr Eure ewige Seligkeit aufs Spiel setzen?«
»Jetzt und hier ist meine ewige Seligkeit. Um die andere werde ich mich schon kümmern, wenn sie kommt, falls sie kommt. Wenn ich wegen eines Hirngespinstes auf etwas Wirkliches verzichten muss, soll Gott herunterkommen und es selbst nachprüfen. Sagt nicht der heilige Augustinus: ›Liebe und sei glücklich‹?«
»Zwingt mich nicht zu einer Antwort. Jetzt ist nicht die richtige Zeit für philosophische Abschweifungen, bei denen nicht einmal die Kirchenväter eine gemeinsame Lösung gefunden haben. Außerdem kann ich kein unparteiischer Richter sein, weil ich Euch zu sehr liebe. Doch nun sagt mir: Welche anderen Feuer müsst Ihr noch löschen?«
Mit wenigen Worten unterrichtete Martí seinen Freund über das Gespräch, das er mit dem Rabbiner Melamed geführt hatte.
»Wie Ihr sehen könnt, ist das so,
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