Das Vermächtnis des Martí Barbany
mehr in diesem Barcelona, das ich so sehr geliebt habe. Ihr bleibt hier nicht einmal ein schützendes Dach. Das Schicksal meiner Frau Rivka und das Ruths machen mir größte Sorgen, nicht so das meiner anderen beiden Töchter, die schon zu den Familien ihrer Ehemänner gehören. Nun, Martí, kommt das, was Euch betrifft. Ich kenne meine kleine Tochter, und darum weiß ich, dass sie sich weigern wird, ihrer Mutter zu folgen, weil sie sich nicht von Euch trennen will …«
»Baruch, ich werde tun, was ich …«
»Lasst mich ausreden, Martí. Ich hatte Zeit, um gründlich nachzudenken, als müsste ich mit Euch, Eudald, ein Streitgespräch beginnen, wozu uns die gemeinsamen Sommerabende angeregt haben.« Der Greis machte eine Pause. »Martí, ich weiß, dass Ruth Euch liebt, seitdem sie ein kleines Mädchen war. Ein Vater kann im Herzen einer Tochter lesen,
auch wenn sie ihm nichts gesagt hat. Zunächst dachte ich, das wäre ein Mädchentraum. Aber ich habe mich geirrt. Ruth ist schon eine Frau. Ihr wart so liebenswürdig, sie in Eurem Haus aufzunehmen und mich aus einer Lage zu retten, die mein Haus entehrt und Batshevas Hochzeit erschwert oder sogar ganz verhindert hätte. Aber ich glaube, ich hätte Euer Angebot nicht annehmen sollen, und wenn Ihr mir keinen Schwur geleistet hättet, wäre ich auch nie einverstanden gewesen. Doch ich bin mir bewusst, dass mein Einverständnis die Dinge verschlimmert hat. Nun haben sich die Umstände so zugespitzt, dass sie keine Kompromisse mehr zulassen. Ihr müsst Ruth zwingen, dass sie ihrer Mutter folgt, und Ihr dürft Euch um keine Entschuldigung und keine Ausflucht kümmern, damit ich aus dieser Welt ruhig scheiden kann. Ihr seid der einzige Mensch, auf den sie vielleicht hört.«
Eudald und Martí wechselten einen vielsagenden Blick, der dem listigen Geldverleiher nicht entging.
»Was gibt es? Was verheimlicht Ihr?«
In bedächtigem und traurigem Ton sprach wieder Martí.
»Eure Bitte ist unmöglich.«
»Warum?«
»Ich muss Euch etwas sehr Schwerwiegendes mitteilen: Euer Mitschwiegervater will Ruth nicht in Besalú haben, und Esthers Mann ebenso wenig. Er sagt, das würde alle in Gefahr bringen, und darunter auch Eure Frau.«
Baruch Benvenist verhüllte sich das Haupt mit dem zerknitterten Überrock und sagte eine Zeit lang kein Wort.
»Verzweifelt nicht. Ich lasse Euch in dieser Schicksalsstunde nicht allein.«
»Woran denkt Ihr?«, erkundigte sich der Domherr, während sich der Geldverleiher wieder den Kopf entblößte.
»Ruth kann unter meiner Obhut so sicher leben, als wäre sie in glücklicheren Zeiten bei Euch zu Hause.«
»All das brächte solche Gefahren mit sich, dass ich es nicht zulassen darf.«
»Mein guter Freund, leider seid Ihr nicht in der Lage, das zu entscheiden.«
»Ihr seid in Gefahr, Martí«, betonte Llobet.
»Aus viel unwichtigeren Gründen war ich das schon früher, und das wegen Leuten, die ich kaum kannte.«
Der gute Geistliche ließ sich nicht abweisen.
»Denkt daran, dass sie dann kein jüdisches Gesetz, sondern einen vom Grafen unterzeichneten Verbannungsbefehl missachtet, und Ihr handelt als Komplize. Jemand sieht sie vielleicht, und dann kann Euch niemand und nichts helfen.«
»In meinem Haus droht keinerlei Gefahr: Ich richte das letzte Stockwerk ganz allein für sie ein, und sie bekommt den Garten am Turm. Omar, der sich ja mit Wasserkanälen auskennt, soll im Garten ein Bad einrichten. Sie braucht nicht auf die Straße zu gehen, und niemand erhält die Erlaubnis, dorthin zu kommen, wo sie sich aufhält, und das alles kann so bleiben, bis sich die Verhältnisse ändern. Sagt Ihr nicht, die Welt werde von der Vorsehung regiert – und nicht von den Menschen? Nun, ich denke, dass Euer Jahve oder Unser Herr Jesus Christus dafür sorgt.«
»Mir bleibt nichts anderes übrig. Martí, ich segne Euch. Möge Euch Euer Gott beistehen. Ich scheide ruhig aus dieser Welt.«
»Noch ist Zeit. Da man nicht versuchen kann, dass Ihr all Eure Angehörigen seht, sagt mir, wen ich Euch bringen soll.«
»Meine Frau würde sterben, wenn sie mich hier sähe, Eudald. Meine zwei älteren Töchter haben schon einen Mann. Bringt mir Ruth her, wenn Ihr könnt …«
»Verlasst Euch darauf. Dafür sorge ich, wenn es in meiner Macht steht.«
Martí, den eine unbezwingliche Rührung erfasste, sprach mit zärtlicher und liebevoller Stimme.
»Baruch, Ihr habt mir Euren größten Schatz anvertraut. Ich werde Euch nicht enttäuschen, dafür stehe ich mit
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