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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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zu leisten, und den dürfen wir nicht hinausschieben.«
    »Vorwärts: Einer meiner Männer begleitet Euch zur Zelle, und immer, wenn Jaume Fornolls Dienst hat, habt Ihr freien Zutritt. Ich bin alle Tage hier, von der ersten bis zur dritten Morgenstunde.«
    »Das merken wir uns, damit wir nicht jedes Mal um Erlaubnis bitten müssen. Und nun, wenn Ihr so liebenswürdig seid …«
    Der am Eingang stehende Wachposten führte sie durch mehrere Gänge, bis sie Baruchs Zelle erreichten. Die beiden fühlten sich bedrückt, weil sie nicht wussten, welcher Anblick sie erwartete. Durchs Türgitter betrachteten sie den Geldverleiher. Trotz der Eisenstäbe sah der Raum eher wie ein schlechtes Herbergszimmer als wie eine übliche
Zelle aus. Das Mobiliar bestand aus einem Tisch und zwei ramponierten Stühlen, und es wurde von einer an der Wand stehenden Bank vervollständigt, die zugleich als Lagerstatt diente. Dort saß Benvenist, hing seinen Gedanken nach und betrachtete das Licht der aufgehenden Sonne, die durch das kleine Fenster in der Mauer hineinschien und in deren schwachen Strahlen Myriaden von Staubflöckchen tanzten. Der Geldverleiher wirkte noch dürrer und zusammengeschrumpfter, falls das möglich war. Als Baruch bemerkte, dass jemand an der Tür stand, schaute er sich zu ihnen um, und seine wässerigen Augen bekamen einen halb dankbaren und halb erleichterten Ausdruck. Langsam erhob er sich und ging zur Tür.
    Der Wachposten schloss das Gitter auf, und die drei Männer umarmten sich innig.
    »Ich habe den Befehl, Euch allein zu lassen. Wenn Ihr hinauswollt, klopft Ihr ans Gitter, und ich komme und schließe Euch auf.«
    Nach diesen Worten lief der Mann auf dem Gang davon.
    Als sie allein waren, setzten sich Martí und Eudald auf die Stühle, während Baruch zu seinem Lager zurückging.
    Der Domherr brach das bedrückende Schweigen.
    »Baruch, mein Freund … Welch ein großes Unglück!«
    »Und wie ungerecht man Euch behandelt«, fügte Martí hinzu.
    »Jahves Ratschlüsse sind unerforschlich und den Menschen unbegreiflich. Wenn wir geboren werden, ist uns zugeteilt, wie oft unser Herz schlagen soll.«
    »Aber jeder Tod, der nicht auf natürlichem Wege eintritt, sondern durch ungerechte Entscheidungen der Menschen erzwungen wird, ist ein niederträchtiger und sinnloser Tod.«
    »Verzeiht, Eudald. Gesegnet sei ein Tod, wenn er Schlimmeres verhütet. Möge der meine den Zorn der Mächtigen besänftigen und meine Gemeinde vor größerem Unglück bewahren.«
    »Ich stelle mir vor, dass man Euch über Zeit und Ort unterrichtet hat.«
    »Sie haben gewissenhaft die Vorschriften eingehalten. Der Richter ist persönlich und zusammen mit zwei Zeugen in dieser Zelle erschienen und hat mir das Urteil verlesen. Sie waren mir gegenüber sehr rücksichtsvoll und zugleich sehr geschickt: Sie werden mich so aufhängen, dass keiner von meinen Leuten kommen kann, um mir Lebewohl zu sagen, und ich freue mich, dass es so ist. Niemand darf den Sabbat wegen
etwas so Unbedeutendem wie einem Todesfall entweihen, wo ja schließlich jeden Tag jemand stirbt.«
    Als Martí sah, wie schicksalsergeben und maßvoll sich sein Freund verhielt, explodierte er: »Ich begreife nicht, wie Ihr eine derart große Ungerechtigkeit mit einer solchen Ruhe aufnehmen könnt.«
    »Wozu würde etwas anderes führen? Alles steht geschrieben, und niemand kann es ändern: Der Tod muss uns alle treffen. Meiner tritt nur etwas eher ein.«
    »Dieser Fatalismus hat Eure Rasse seit Jahrhunderten verurteilt: Zu jedem Passahfest beglückwünscht Ihr Euch beim Seder mit den Worten ›nächstes Jahr in Jerusalem‹, aber wenn Ihr allezeit diese geduldige Haltung bewahrt, die sich mit allen Heimsuchungen abfindet, so sage ich Euch voraus, dass Ihr nie zurückkehrt.«
    »Martí«, tadelte ihn Eudald, »wir sind gekommen, um unseren Freund zu trösten, und nicht, um ihn zu vernichten.«
    »Verzeiht, Baruch, aber Ohnmacht und Zorn veranlassen mich zu solchen Äußerungen. Tatsächlich sind wir gekommen, um Euch zu trösten und von anderen Dingen zu sprechen.«
    »Nun, dann überwindet Euren Zorn und hört zuerst mir zu. Ich muss Euch meinen letzten Willen mitteilen, und wir haben nicht viel Zeit.«
    Eudald und Martí machten sich bereit, Benvenists Anweisungen getreulich zu befolgen.
    »Sehr bald bin ich nicht mehr auf dieser Erde, aber die Menschen, die ich am innigsten liebe, bleiben hier. Mein Besitz ist beschlagnahmt, und meine Familie hat in dreißig Tagen keine Heimstatt

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