Das Vermächtnis des Martí Barbany
schwerwiegend.«
»Nun, das ist nicht alles. Zu meinem Unglück habe ich ihn persönlich beim Veguer vorgestellt, damit ihm die Stadt das ganze schwarze Öl abkaufte, das er ins Land brachte, und als er bei ihm freien Zutritt hatte, hat er mich missachtet und sich geweigert, die Gefälligkeit zu bezahlen.«
»Und was wollt Ihr über ihn wissen?«
In diesem Augenblick konnte der Ratgeber seinen Zorn nicht mehr beherrschen.
»Selbst die Farbe seines Drecks interessiert mich. Vor allem muss ich erfahren, welche Verbindungen er möglicherweise zu den Leuten des Call hat.«
»Seid unbesorgt. Alles wird herauskommen, aber ganz besonders, was seine Beziehungen zu den Juden betrifft: Vergesst nicht, dass ich Neuchrist bin. Man muss den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.«
»Und falls man nicht nur Dinge erfahren, sondern auch zur Tat schreiten müsste? Im Verborgenen, meine ich damit natürlich. Manche Sachen soll man besser diskret erledigen: Die direkten Wege stehen mir selbst offen.«
»Dafür habe ich geeignete Leute. Aber wie Ihr Euch denken könnt: Je heimlicher alles vor sich geht, desto höher ist der Preis.«
»Darum macht Euch keine Sorgen. Ihr wisst ja, dass ich meine Mitarbeiter gut bezahle.«
102
Das letzte Lebewohl
A ls der unheimliche Besucher mit Bernat Montcusí zusammenkam, sprach Ruth gerade mit Martí darüber, ob es ratsam war, ihren Vater zu besuchen. »Seid Ihr Euch bewusst, welcher Gefahr Ihr Euch aussetzt?«
»Martí, Ihr habt mir versprochen, dass Ihr es versucht. Wenn ich ihn nicht sehen kann, sterbe ich vor Kummer.«
»Dann übertretet Ihr mehrere Vorschriften: Ihr müsst zu einer Zeit auf die Straße, die für Juden verboten ist, und Ihr müsst Euch als Mann verkleiden, denn es wäre wahnwitzig, wenn Ihr als Frau versuchen wolltet, in ein Gefängnis hineinzukommen.«
»Sonst geht er aus dieser Welt ohne den Trost, mich zu sehen, und ich weiß, dass er das am innigsten wünscht. Ich nehme alles auf mich. Wenn mir etwas geschieht, mache ich Euch dafür nicht verantwortlich.«
»Gut, einverstanden. Ich habe es Euch versprochen, und es wird nicht meine Schuld sein, wenn es uns nicht gelingt.«
Martí konnte Eudald überreden, Jaume Fornolls aufzusuchen. Eudald vereinbarte mit ihm, wie es einem ungeschriebenen Verhaltenskodex unter alten Waffenkameraden entsprach, dass sich Martí am nächsten Tag, wenn der Offizier seinen Wachdienst begann, mit dem ältesten Sohn des Häftlings einstellen werde, unter der Bedingung, dass er kein Messer und keinen Dolch bei sich haben dürfe.
Zur Stunde des Vespergebets betrat ein Paar den Platz, an dem sich der Palau Menor befand. Martí, der sein Gesicht offen zeigte, und die vermummte Ruth kamen zu der Stelle, wo der neue Freund wartete.
Fornolls sprach ruhig und klar.
»Eure Gnaden sind sehr pünktlich.«
»Pater Llobet hat uns dringend um Pünktlichkeit gebeten. Wir wissen,
dass unser Schicksal von dem Zeitpunkt abhängt, zu dem Ihr Euren Wachdienst beginnt, und dass wir wieder herauskommen müssen, kurz bevor man Euch ablöst. Das hätte noch gefehlt, dass wir Euer Gnaden die Gefälligkeit vergelten, indem wir Euch schaden.«
»Es freut mich, dass ich dem Sohn eines Waffenkameraden, dem ich etwas schuldete, einen Dienst erwidern kann. Aber bei diesem Abenteuer setze ich viel aufs Spiel.«
»Das weiß ich genau, und ich möchte Euch etwas entschädigen.«
Bei diesen Worten suchte Martí etwas in dem Beutel, den er über die Schulter gehängt hatte. Er holte ein kleines Ledersäckchen heraus und streckte es dem Mann hin.
»Was gebt Ihr mir da? Ich will für die Gefälligkeit nichts haben.«
Er wollte Martí das Säckchen zurückgeben. Dieser hielt den Arm des anderen fest.
»Ich will nichts erreichen, den Gefallen habt Ihr mir ja schon erwiesen. Ihr habt gesagt, dass Ihr Frau und Kinder habt. Nehmt es als die Gefälligkeit eines dankbaren Menschen an.«
Im Halbdunkel knüpfte Jaume Fornolls den kleinen Lederriemen auf, der den Hals des Säckchens verschloss, und steckte die Hand hinein.
»Aber Ihr seid verrückt! Da drinnen steckt ja mindestens der Sold für ein halbes Jahr.«
»Das ist nichts im Vergleich mit dem, was Ihr für uns tut.«
Da Martí von »uns« gesprochen hatte, betrachtete Fornolls nun gründlich die kleine vermummte Gestalt, die Martí begleitete.
»Ist das sein Sohn?«
»Ja, und weil der Verurteilte sonst nur noch zwei Töchter hat, muss sich der Junge trotz seiner wenigen Jahre um die beiden Schwestern und
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