Das Vermächtnis des Martí Barbany
Leib beim Kampfbeginn nicht gestärkt hat, aber noch schlechter ist es, wenn man mit vollem Magen in die Schlacht geht. Wir schnallten uns kleine Lederschläuche an die Gürtel, damit wir ein wenig Wasser bei uns hatten, und nahmen unseren Platz in der aufgestellten Truppe ein. Wir wussten, dass die Sonne in unserem Rücken aufgehen würde. Das wirkte sich zu unserem Vorteil aus, weil die Sonne den Feind blenden müsste. In einem solchen Augenblick spürt man ein Kribbeln im Bauch, und nicht einmal Veteranen können sich vor diesem Gefühl bewahren. Unsere Vorhut teilte mit, dass sich der Feind knapp eine Meile entfernt befand. Da geschah etwas Unvorhersehbares. Offenbar hatte Arnau von Ruscalleda, der Herr von Vallarta, ein Bündnis mit Mir Geribert geschlossen, und indem er aus der Burg Fals hervorstürmte, deren Besitzer ihm vor Kurzem den Vasalleneid geleistet hatte, griff er uns von hinten an. Unser Heer
machte kehrt, und nun traf uns die Sonne von vorn... Wir gerieten in gewaltige Bedrängnis: Wie wütende Insektenschwärme prasselten die Pfeile vom Himmel, und Arnau von Ruscalledas Fußsoldaten, die in den Kämpfen mit dem maurischen König von Lérida große Erfahrungen gewonnen und den Landstreifen von Tortosa zurückerobert hatten, stürzten sich auf unsere Truppen. Ein Pfeil durchdrang meinen Kupferschild und blieb in meinem Hals stecken. Seht her.« Bei diesen Worten zog der Geistliche den Ausschnitt seines Überrocks nach unten und zeigte eine hässliche Narbe, die vom Halsansatz bis zum Schlüsselbein reichte. »Beinahe wäre ich aus dieser Welt gegangen, und ich stürzte übel zugerichtet auf die Erde. Ein höllischer Tumult tobte, die Schreie der Kämpfer vermischten sich mit dem Stöhnen der Sterbenden und den Klagen der Verwundeten. Man hörte Stoßgebete und Flüche. Die Fußsoldaten wateten im Blut. Ein riesiger Maure, ein Söldner des Herrn von Ruscalleda, warf sich plötzlich auf mich, und ich hielt mein letztes Stündlein für gekommen. Ich empfahl schon meine Seele der Heiligen Jungfrau, als Euer Vater auftauchte, und mit seiner mächtigen Streitaxt köpfte er den Ungläubigen. Da blies das Horn zum Rückzug. Die Schlachtlinie war durchbrochen, und unsere Gruppe blieb wie eine abgeschnittene kleine Insel zwischen den feindlichen Reihen zurück. Euer Vater warf sich das Wehrgehänge über die Schulter und lud sich meinen gemarterten Körper auf den Rücken, ließ seine Streitaxt liegen, und in die andere Hand nahm er das Kurzschwert, eine iberische Falcata , die sich im Nahkampf so erfolgreich einsetzen lässt. Mit einer oder beiden Händen teilte er rechts und links Hiebe aus und drang zu unseren Reihen vor, während er den Feinden so viele Gliedmaßen abhackte, wie das Messer des Holzfällers Äste im Wald abschneidet. Schon waren wir den anderen nahe... Ich hatte viel Blut verloren. Der Pfeilschaft ragte aus meinem Hals hervor. Da habe ich Christus geschworen, in den geistlichen Stand einzutreten, wenn ich diesmal davonkäme und sobald ich meine Dienstpflicht erfüllt hätte. Euer Vater stürzte zu Boden, und ich rollte an seine Seite, als wir schon beinahe bei unserer Vorhut waren. Um zu verhindern, dass wir unser Ziel erreichten, regnete nun eine Wolke von Wurfspießen rund um uns hernieder. Euer Vater, der bereits verwundet war, deckte meinen Körper mit dem seinen zu. Ein dumpfes Geräusch und sein Gesichtsausdruck zeigten mir, dass ein solches Wurfgeschoss zwischen seine Schulterblätter eingedrungen war. Ich bemerkte undeutlich, dass seine Hände nach meiner Hand suchten. Die letzten Worte, die ich
hören konnte, bevor ich das Bewusstsein verlor, waren: ›Kümmert Euch um meinen Sohn...‹«
Kurze Zeit herrschte Stille. Mit abwesendem Blick sprach der Geistliche schließlich weiter.
»Der Kampf tobte erbittert. Bei diesem Ringen gab es keine Sieger und keine Besiegten. Als die Sonne unterging und die Schatten das Schlachtfeld überzogen, versuchten alle, ihre Toten zu bergen. Elderich von Oris befahl, einen Scheiterhaufen aufzuschichten und die Leichen der im Kampf Gefallenen zu verbrennen. Mich hatten sie auch dorthin gebracht. Ich lag mit anderen zusammen und wäre beinahe in Charons Nachen geraten. Die Chirurgen wurden nicht damit fertig, Gliedmaßen zu amputieren, Blutungen zu stillen und Knochen einzurenken. Die Mönche spendeten den Sterbenden die Letzte Ölung, und ich spürte in meinem Delirium, dass etwas Unbekanntes an meinem Ringfinger drückte. Ich streckte die linke
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