Das Vermächtnis des Martí Barbany
Tod anderer Menschen wurde etwas so Alltägliches wie Essen und Trinken.«
Martí nahm die Worte des Geistlichen begierig auf. Als der Priester merkte, dass er das Interesse des jungen Mannes gewonnen hatte, setzte er seine Erklärungen fort: »Auf dem Schlachtfeld entstehen und bewähren
sich die stärksten Freundschaften, und ich muss sagen, dass Euer Vater mein Kamerad war, das heißt so viel wie ein Bruder, den man selbst ausgewählt hat und darum noch inniger liebt. Ich erinnere mich, dass er mir eines Nachts von Eurer Mutter, von Euch und davon erzählt hat, wie ihn die von Eurem Urgroßvater übernommenen Verpflichtungen von seiner Familie ferngehalten und zu dieser Lebensweise verurteilt hatten. Wir lagerten um ein Feuer, als er in einem plötzlichen Drang ein Pergament aus der Tasche zog und zu mir sagte: ›Wenn mir etwas zustoßen sollte, müsst Ihr das Richtige tun, damit mein Sohn, der jetzt ein kleines Kind ist, mit diesem Ring zu Euch kommt.‹ Dabei zeigte er auf den Siegelring, den er am Ringfinger seiner linken Hand trug. ›Ihr müsst ihn meiner Frau zukommen lassen, sobald geschieht, was das Schicksal entschieden hat. So erkennt Ihr ihn, wenn er großjährig ist. Ich bitte Euch, dass Ihr ihm dann meine Geschichte erzählt und ihm mein Testament und den Schlüssel gebt, den ich Euch jetzt anvertraue. Ich habe noch einen gleichen.‹ Nach diesen Worten reichte er mir das Pergament. Er hatte es mit dem Ring versiegelt, den Ihr nun an Eurem Finger tragt. Dazu gab er mir noch einen kleinen Schlüssel, den er an einer Schnur um den Hals getragen hatte. Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß nicht, nicht einmal jetzt, was man mit ihm aufschließen kann. Was den Ring betrifft, den ich so gut kenne, denn ich selbst habe mich darum gekümmert, ihn Eurer Mutter zu übergeben, so hätte ich ihn jedenfalls nicht ansehen müssen, weil ich Euch gründlich beobachtet habe, und Ihr seid das lebendige Ebenbild Eures Vaters.«
Nun war Martí wirklich von der Geschichte gefesselt.
»Ich fragte ihn zwar, aus welchem Grund er mir das erzählte«, erläuterte Erzdiakon Llobet weiter, »nachdem er so viele Gefahren überstanden und so viele Schicksalsschläge durchgemacht hatte, doch ich erinnere mich an seine Antwort: ›Ein verantwortungsvoller Mann muss diese Dinge an dem einen oder anderen Tag tun, und ich weiß, dass meine Zeit gekommen ist.‹ Ich verwahrte das Dokument ganz tief in meiner Gürteltasche und brachte sie an einer sicheren Stelle unter, wie jeder Krieger, bevor er in den Kampf geht. Außerdem hängte ich mir den kleinen Schlüssel um den Hals. Ich wusste nicht, in welch schreckliche Bedrängnis ich wenige Stunden später geraten würde, und wenn ich hier bin und es erzählen kann, habe ich es, und das bestätige ich noch einmal, diesem wunderbaren Waffengefährten zu verdanken, der Euer Vater für mich war.«
Gebannt hatte Martí zugehört, doch nun griff er zum ersten Mal ein.
»Welches Ereignis bringt Euch denn dazu, dass Ihr meinen Vater einen wunderbaren Waffengefährten nennt?«
Don Eudald schloss halb die Augen, wie jemand, der sich mühsam erinnert. Der Lichtstrahl, der durchs Fenster eindrang, fiel auf sein Haupt und umgab es mit einer geheimnisvollen Aura.
»Gebt acht. Wir waren am Morgen aufgebrochen und legten eine weite Strecke zurück, bis wir in die Nähe von Vallfermosa gelangten. Dort erwartete uns die Truppe des Grafen Mir Geribert, mit dem unsere Gräfin damals im Streit lag, denn er ließ sich ›Fürst von Olèrdola‹ nennen, und sie erkannte diesen Titel nicht an. Wir wollten dort unser Lager aufschlagen, weil unsere Vorhut mitgeteilt hatte, dass der Feind sehr weit entfernt war und es bis zum Kampf noch wenigstens einen Tag dauern würde. Wir richteten ein Behelfslager ein und warteten auf den entsprechenden Befehl. Das Hornsignal weckte uns plötzlich in der ersten Morgenstunde. Unser Fähnrich meldete, dass der Feind in der Nacht vorgerückt war, um uns zu überrumpeln. Und trotzdem hätte es einen Nachteil für ihn bedeutet, denn seine Truppen wären doch gewiss sehr erschöpft gewesen. Euren Vater und mich überraschte so viel Unerfahrenheit, denn jeder gute Heerführer hat ja unbedingt zu beachten, dass die Truppe ausgeruht und kampfbereit ist, wenn sie in die Schlacht zieht. Alle Männer bereiteten ihre Waffen vor. Wir, Euer Vater und ich, nahmen ein bescheidenes Frühstück zu uns, ein kleines Stück Weizenfladen und Speckwurst, ist es doch schlecht, wenn man seinen
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