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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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de l’Infant, und während er über die spannungsvollen Stunden nachdachte, die ihn bald erwarteten, betrat er die Gasse. Etwas Ungewöhnliches fiel ihm auf. Mechanisch kontrollierte er immer seine Laternen, und er bemerkte zerstreut, dass die Lampe, die die Querstraße beleuchten sollte, erloschen war. Ihm fiel ein, dass er die Nachtwache benachrichtigen könnte, wenn er auf sie traf, damit man die Lampe reparierte. Dann lief er ruhig weiter.
    Luciano Santángel wartete geduldig, dass sein Opfer an der Ecke erschien. Vom dunklen Hauseingang aus beobachtete er aufmerksam das Ende der Gasse. Als sich dort Martís Gestalt abzeichnete, strafften sich alle seine Muskeln. Seine rechte Hand betastete instinktiv den Hirschhorngriff des Dolchs mit Doppelklinge, seine Lieblingswaffe, mit der er nie einen Stoß verfehlt hatte. Er wusste, wie sich ein erfahrener Jäger zu verhalten hat. Er atmete tief und ruhig ein und stieß die Luft dreimal aus. Der Schatten seines Opfers kam langsam, aber unausweichlich näher. Seine Schuhe waren mit Sackleinwand umwickelt, damit er lautlos und rasch angreifen konnte. Er hatte diese Taktik schon unendlich oft angewendet, und ein Misserfolg war unmöglich. Still wartete er im Schatten, bis das unvorsichtige Opfer an der Stelle vorbeikam, wo er sich versteckte. Dann sprang er ihm nach, und wenn er dem Rücken des anderen nahe war, zog er den Dolch mit der vergifteten Schneide unter seinem Mantel hervor und stieß ruckartig zu. Der Stich drang immer von unten nach oben zwischen den Rippen in der Herzgegend ein. Wenn das Opfer zusammenbrach, machte er ihm schnell einen Schnitt in den Hals, damit es nicht um Hilfe rief.
    Der Augenblick war da. Er ließ den Mann an sich vorbei, und dann sprang er auf die Straße. Mit zwei lautlosen Schritten war er hinter dem anderen. Ein schiefes Lächeln erschien auf seinen Lippen, während er an seinen Lohn dachte und die Klinge in seiner rechten Hand silbern glänzte.

112
    Lis honoris
     
    E ine gewaltige Zahl von Bürgern drängte sich im großen Saal des Rathauses. Seit dem frühen Morgen hatte sich eine endlose Schlange gebildet, und die Leute warteten geduldig, dass die Türen aufgingen, damit sie den besten Platz ergattern konnten. Adlige und Geistliche durften durch eine Seitentür eintreten, doch zwei Stunden vor dem angekündigten Verhandlungsbeginn waren ihre Tribünen schon überfüllt. Die Damen glänzten in ihren besten Festkleidern. Sie wetteiferten miteinander um Reichtum und Vornehmheit, als gälte es, einen Ruhmestag der Stadt zu feiern: prächtige Bliauds, mit Posamenten verzierte Hemden, lange Röcke aus kostbarem Damast, Perlen- und Korallenschmuck, Hauben und Haarnetze, Diademe und weiterer Putz … Die Herren zeigten Samtstickereien an ihren Überröcken, und die viereckigen Halsausschnitte waren mit Gold verbrämt. Ihre Beine steckten in seidenen Beinkleidern, und sie trugen feine Halbstiefel. Am Gürtel hatten sie Wehrgehänge aus bestem Korduanleder. Diese enthielten Schwerter und Dolche, deren Hirschhorn- oder Elfenbeingriffe echte Kunstwerke waren. Auch auf der Tribüne der Geistlichkeit ließ sich das Bestreben feststellen, die Attribute jedes Amts hervorzuheben, ohne hoffärtig zu erscheinen.
    Das Licht fiel durch acht Seitenfenster ein, die sich in den Steinwänden öffneten. Hinzu kamen zwölf schmiedeeiserne Kronleuchter an der Decke, die ebenso viele große Kerzen trugen und an Ketten hingen. Im Hintergrund des Saals hatte man ein weiteres Podium aufgestellt. Darauf stand ein Tisch mit gedrechselten Beinen, an den sich das Gericht setzte. An beiden Seiten befanden sich die Pulte der Prozessparteien und dahinter die Bänke der Curia Comitis . Hinter den Richtern, auf einer höheren Ebene, erhoben sich die mit Baldachinen versehenen Throne, auf die sich Ramón Berenguer und Almodis de la Marche setzen würden.

    Die dritte Morgenstunde war schon vorüber, und die Wächter mussten die Türen für die Bürger Barcelonas schließen, denn auf ihrer Tribüne ließ sich niemand mehr unterbringen, entweder weil man mehr Eintrittskarten verkauft hatte, als es Plätze gab, oder weil eine Bürgerin mit allzu weiten Röcken größeren Raum einnahm, als ihr zustand.
    Als die Glocken das dritte Viertel der Stunde ankündigten, traten die Richter und die Mitglieder der Curia Comitis durch die hintere Saaltür ein und begaben sich zu ihren Plätzen. Wenig später hielt stolz und selbstzufrieden der Wirtschaftsberater Bernat Montcusí seinen

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