Das Vermächtnis des Martí Barbany
Einzug, wozu das Publikum immer lauter murmelte. Nachdem er seine Anhänger mit einer übertrieben gravitätischen Handbewegung begrüßt hatte, nahm er den ihm zugewiesenen Platz ein.
Besonders zwei Leute blickten ständig zu dem noch leeren Pult hinüber, hinter das sich Martí Barbany stellen sollte. An einer Seite befand sich ein korpulenter Geistlicher in seinem Ordenskleid, der darauf verzichtet hatte, seinen Einfluss zu nutzen, um einen besseren Platz auf der Tribüne des Klerus einzunehmen; das war der Beichtvater der Gräfin. Und an der anderen Seite, neben einem der Seitengeländer, die die Stufenreihen begrenzten, befand sich eine Frau mittleren Alters, die sich halb in einen grünen Mantel einhüllte. Sie hatte das Haar zu zwei dicken Zöpfen geflochten, die sie mit einer Schildpattspange um den Scheitel geschlungen hatte. Ihre Augen suchten unablässig den Saal ab.
Das Grafenpaar würde seine Thronsitze erst einnehmen, wenn beide Prozessgegner und alle, die etwas mit dem Ereignis zu tun hatten, sich an ihren Plätzen befanden.
Bernat Montcusí drehte dem Saal den Rücken zu und plauderte zwanglos mit einem adligen Mitglied der Curia Comitis . Es schien sogar, als lächelte er unbekümmert.
Der Sekretär Eusebi Vidiella i Montclús schlug mit einem Holzhammer auf den Tisch. Sogleich trat Schweigen ein, und mit klangvoller Stimme verkündete er, dass die Zeit, in der sich die Kontrahenten vorstellen müssten, allmählich zu Ende gehe. Bei diesen Worten drehte er den Glaskolben einer Sanduhr um. Die Anwesenden raunten und tuschelten, weil sie feststellten, dass der Kläger, der doch gewiss das größte Interesse an der Angelegenheit hatte, immer noch nicht erschienen war.
Der Sekretär hatte mit seinem Hammer schon zweimal auf den Tisch geklopft, und Bernat Montcusí plauderte sorglos weiter, als ginge ihn
das alles nichts an. Als nur wenige Sandkörner bis zum Ende der Frist fehlten, öffnete sich die Seitentür, und Martí Barbany, dem ein Türhüter voranschritt, betrat den Saal. Sein Gesicht war schweißbedeckt und verzerrt, und um den rechten Arm trug er einen auffälligen Verband. Es entging Pater Llobet nicht, dass Montcusí einen überraschten Ruf ausstieß.
Sobald Martí in der vorherigen Nacht das Zimmer Eudalds verlassen hatte, wollte dieser seine Gebete verrichten. Als er schon das Brevier in die Hand genommen hatte und zum Betstuhl lief, entdeckte er, dass Martí, den gewiss seine Sorgen übermäßig beanspruchten, seine genuesische Mütze am Kleiderständer vergessen hatte. Rasch überlegte er. In diesem Augenblick müsste Martí gerade auf die Straße treten, wenn er nicht schon um die Ecke gebogen war. Llobet nahm die Mütze. Da sein Fenster im ersten Stock mitten auf die Gasse hinausging, öffnete er die Läden und steckte den massigen Kopf zwischen den Zweigen seiner Rosensträucher hervor, weil er Martí die Mütze zuwerfen wollte. Mit seiner Lebenserfahrung als Soldat erfasste er sogleich die Lage. Ein vermummter Spitzbube, von denen es so viele in der Stadt gab, wollte seinen Freund von hinten überfallen, der sich mit seinen Gedanken beschäftigte und nichts von dem Anschlag bemerkte. Eudald überlegte nicht zweimal: Während der Schurke so etwas wie einen Dolch aus dem Mantel zog, stieß Eudald mit Donnerstimme »Martí!« hervor, was in der nächtlichen Stille wie ein Donnerschlag klang. Dann packte er mit beiden Händen einen der großen steinernen Blumentöpfe, die auf seinem Fensterbrett standen, und warf ihn auf den Schatten, der gerade angreifen wollte. Als Martí den lauten Warnschrei seines Freundes hörte, drehte er sich um. Er ahnte die Gefahr mehr, als dass er etwas sah, und schützte sich mit dem rechten Unterarm, der einen Messerhieb abbekam. Der Angreifer stürzte zu Boden, weil ihn der schwere, mit Erde gefüllte Topf umgeworfen hatte.
Der Pfarrer und der Pförtner liefen los, um nach dem Verletzten zu sehen. Der Angreifer lag da und hielt noch den Dolch in der Hand. Eudald kniete neben ihm nieder und zog ihm die Vermummung herunter. Sobald er dessen Gesicht entblößt hatte, staunten die drei Männer am meisten über den blauen Schimmer der toten Augen, die Albinofarbe der glatten Haare und die tiefen Pockennarben auf den Wangen. Er hatte kein Dokument bei sich.
Martí kam lange nach Mitternacht heim, und kaum hatte er den Türklopfer am Tor betätigt, da erklangen laute Rufe von drinnen. Schnell wurden die Riegel zurückgeschoben, was ihm klarmachte, dass
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