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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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bei Geschäften sind und wie streng sie sich an die Verfügungen der Toten halten. Deshalb habe ich mich entschlossen, Euch zum Bewahrer meines Besitzes zu machen. Mir bleibt keine Zeit, um jemanden zu finden, der mir das Vertrauen einflößt, das Ihr in mir weckt, und dessen Ruf so offenkundig wie Eurer und so groß ist, dass er über die Grenzen hinausgelangte.‹ Wer hätte sich nicht von einer solchen Menge an Komplimenten erdrückt gefühlt? ›Ihr schmeichelt mir‹, habe ich geantwortet, ›und ich glaube nicht, dass ich solch hohes Lob verdiene, aber ich danke Euch für die gute Meinung, die Ihr von den Angehörigen meiner Rasse habt. Wenn alle Christen sie teilten, würde unser Leben viel angenehmer und auch weniger gefährlich sein.‹ Das waren mehr oder weniger seine und meine Worte, und so begann unser langes Gespräch an jenem Nachmittag. Euer Vater hat mir ein sonderbares Testament anvertraut. Es sollte Gültigkeit erlangen, wenn sein Erbe hier erscheinen, den ihn beglaubigenden Ring tragen und einen bestimmten Schlüssel vorweisen würde. Darum erinnere ich mich lebhaft an diese Umstände. Lasst mich aber die entsprechende Schriftrolle suchen, die ich Euch wörtlich vorlesen möchte, damit wir die genauen Bedingungen erfahren. Mein Gedächtnis
spielt mir manchmal einen bösen Streich, und ich möchte nicht irgendeinen Fehler begehen: Im Lauf der Tage sehe ich viele Aktenbündel, und ihre Menge übersteigt meine Fähigkeiten bei Weitem.«
    »Aber warum sagt Ihr, dass es ein seltsames Testament war?«
    »Wenn ich Euch die einzelnen Verfügungen vorgelesen habe, werdet Ihr verstehen, warum ich es gesagt habe.«
    Benvenist stand auf und lief zu einem Schrank seines Arbeitszimmers. Er holte einen Ring mit vielen Schlüsseln aus der Tasche seines Überrocks, suchte einen aus, den er ins Schrankschloss steckte und umdrehte. Als sich der Riegel bewegte, machte er ein dumpfes Geräusch, das in Martís Ohren wie Donner klang, so sehr bedrängte ihn nun seine Wissbegierde. Danach öffnete Benvenist den rechten Teil des Möbels, sodass sich eine ganze Reihe von Fächern zeigte, in denen sich Pergamente unterschiedlicher Größe in scheinbarer Unordnung häuften. Er durchsuchte die Reihe und zog ein Pergament heraus, das mit einem Lacksiegel verschlossen war.
    »Dieses Dokument ruft mir unendlich vieles in Erinnerung. Seid so liebenswürdig und gebt mir bitte Euren Ring.«
    Martí, den die Bitte des alten Mannes erstaunte und der dessen Gesicht unverwandt beobachtete, zog sich den Siegelring vom Ringfinger seiner linken Hand und gab ihn Benvenist. Dieser entschuldigte sich: »Wie Ihr verstehen werdet, ist das eine bloße Formalität, aber das Vertrauen, das mir Euer Vater geschenkt hat, verlangt, dass mein Verhalten den gesetzlichen Vorschriften genau entspricht und besonders gewissenhaft ist.«
    Nach dieser Erklärung öffnete er eine Schachtel mit Schreibzeug und nahm eine Lackstange heraus, die er am Docht einer brennenden Kerze erhitzte. Sobald er sie aufgeweicht hatte, ließ er etwas auf ein weißes Pergamentstück tropfen, dann nahm er den Ring und drückte das Siegel in den geschmolzenen Lack, sodass er einen genauen negativen Abdruck erhielt. Er verglich das Bild der beiden Siegel. Dann zeigte er dem Domherrn das Ergebnis, als wollte er dessen Zustimmung erreichen.
    »Wie Ihr seht, stimmen beide Siegel genau überein. Jetzt dürfen wir das Dokument öffnen. Brecht das Siegel bitte selbst auf. Schließlich ist der Inhalt des Pergaments für Euch bestimmt.«
    Nach diesen Worten reichte er Martí einen kleinen Dolch, auf dessen Elfenbeingriff ein Davidsstern eingraviert war, und mit einem Kopfnicken gab er ihm zu verstehen, dass er sich ans Werk machen sollte. Martí
nahm den Dolch, schlitzte das Siegel auf und faltete das Dokument auseinander. Dann gab er dem Juden das ausgebreitete Pergament zurück.
    Der Herr des Hauses hielt es in der rechten Hand, und mit der Linken nahm er den Griff eines Linsenglases, das aus einem geschliffenen gelben Topas bestand. Er näherte es seinem rechten Auge, und wie jemand, der an öffentliche Auftritte gewöhnt ist, begann er, mit bedächtiger und ernster Stimme zu lesen. Er bemühte sich um einen klaren Tonfall, damit die Zuhörer die besondere Bedeutung des Dokuments erfassten.
     
    Heute, am Tag des Herrn, dem 3. Mai 1037
    Ich, Guillem Barbany von Gorb, im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten und meines freien Willens, ohne jeden äußeren Druck und allein auf meinen

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