Das Vermächtnis des Martí Barbany
Martí den Grund dafür nicht entdecken, doch als er an der Reihe war, verstand er sofort, dass die Zeit dieses Herrn zu wertvoll war, als dass er die geringste Pause ertragen
hätte: Darum warteten die Besucher in seinem Vorzimmer, und sobald der erste herausgekommen war, trat schon der nächste ein. Sein Gefährte hatte kein Glück, er musste sich eine Strafpredigt des Sekretärs anhören, der die Besuche für den Prohom prüfte. Offenbar hatte der andere ein Dokument nicht richtig ausgefertigt, das man wohl schon beim letzten Mal von ihm verlangt hatte. »Manchmal«, dachte Martí, »muss man mehr Rücksicht auf die Diener der Mächtigen als auf diese selbst nehmen, denn je niedriger ein Mensch steht, desto größere Hochachtung verlangt er, wie es der menschlichen Natur entspricht.« Der Bürger zog sich zurück, ohne seinen Zweck zu erreichen. Martí gab sich Mühe, die Sympathie des höchst empfindlichen Untergebenen zu gewinnen, und auf dessen etwas barsche Frage, wer er sei und was er wolle, antwortete er: »Ich sehe, dass Ihr sehr beschäftigt seid, und ich möchte Euch nicht bei Euren vielen und wichtigen Aufgaben stören.«
Nach dieser Schmeichelei änderte sich der Ton des Sekretärs.
»Gewiss habt Ihr die erforderlichen Unterlagen für Euer Gesuch. Leider verliere ich nur zu oft meine Zeit mit unbegründeten Anträgen, für die ich gar nicht zuständig bin. Die Leute sind sehr begriffsstutzig, und es ist nicht meine Aufgabe, tausendundeinmal zu wiederholen, wie man ein Gesuch vorzulegen hat. Wenn eine Akte auf den Tisch meines Herrn kommt, die nicht richtig ausgefertigt und gesiegelt ist, brauche ich Euch wohl nicht zu sagen, wer den Tadel einstecken müsste.«
»Das verstehe ich vollkommen, und ich will Eure Zeit und Eure erprobte Sachkenntnis nicht überbeanspruchen«, erklärte Martí weiter, als er sah, dass seine Schmeicheleien ihre Wirkung nicht verfehlten.
»Dessen bin ich sicher, das sieht man Euch schon von Weitem an. Sagt mir also, welches Anliegen habt Ihr?«
»Ich bin mit dem Prohom Bernat Montcusí, dem Ratgeber für Versorgung und Märkte, verabredet. Pater Eudald Llobet hat die Unterredung vereinbart.«
Ton und Haltung des kleinen Mannes wurden höflich und respektvoll.
»Seid Ihr so gütig, mir Euren Namen zu nennen?«
»Ich heiße Martí Barbany.«
»Geduldet Euch einen Augenblick, damit ich im Audienzbuch nachsehe.«
Der Bürodiener blätterte einen Haufen von Pergamenten durch, die von einer dünnen Schnur zusammengehalten wurden. Dann antwortete
er: »Ihr hättet überhaupt nicht zu warten brauchen. Wenn Ihr mir gesagt hättet, wer Ihr seid und von wem Ihr kommt, hättet Ihr Euch nicht im Vorzimmer aufhalten müssen. Der Herr, der Eure Unterredung vereinbart hat, wird in diesem Haus sehr geliebt und geachtet.«
»Das hat keine Bedeutung. Gott möge mich davor bewahren, dass ich Eure Arbeit unterbreche.«
»Bitte setzt Euch. Ich bin gleich wieder da.«
Stolz und aufgeblasen verließ der Mann seinen Platz hinter dem Tisch und verschwand nach einer kurzen Verbeugung durch die Tür hinter ihm, wobei er ganz das Auftreten und die Grazie eines Seneschalls zeigte. Die Wartezeit war nur kurz; bald erschien der Mann wieder und verkündete hochtrabend: »Don Bernat Montcusí, der erlauchte Herr Ratgeber für Versorgung und Märkte, erwartet Euch.«
Martí stand auf und fühlte, dass ihm die Beine leicht zitterten.
»Wie ist Euer werter Name?«
»Conrad Brufau.«
»Zweifelt nicht daran, dass ich Euren Namen und Eure Tüchtigkeit je vergesse.«
Der Bürodiener forderte ihn auf, ihm zu folgen. Beide liefen durch den Gang, und der Mann blieb vor einer getäfelten Tür stehen. Dort nahm ein uniformierter Wachposten die Pike zur Seite und ließ den Türhüter durch. Nachdem dieser um Erlaubnis gefragt hatte, geleitete er den eingeschüchterten Martí in den Raum und zog sich zurück.
Die Tür ging zu. Der Ratgeber war nicht da. Martí bezähmte sein hastig klopfendes Herz und sah sich um.
Der Raum zeigte maßvollen Reichtum. Alles war von ausgezeichneter Qualität, und dennoch wirkte nichts pompös. Man merkte, dass es der Nutzer dieses Raums gewohnt war, inmitten von Einrichtungsgegenständen zu arbeiten, die aus fernen Reichen eingeführt waren und größten Wert hatten.
Bernat Montcusí war Ratgeber und Vertrauter des Grafenhauses. Die ehemalige Regentin Ermesenda von Carcassonne hatte ihn zu dieser Stellung erhoben, und man erzählte, dass sie ihn früher zu Hause besuchte.
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