Das Vermächtnis des Martí Barbany
beobachtete.
»Was bekümmert Euch? Lässt sich Euer Gemüt etwa von einem mehr oder weniger hohen Steinhaufen ängstigen? Wenn es so ist, sage ich Euch, dass jede Felskuppe in meinen Pyrenäen größer ist als diese Burg, und die Natur hat sie geschaffen, also braucht man sich hier nicht einschüchtern zu lassen.«
Kurz nachdem sie in der Burg eingetroffen waren und man sie angemessen untergebracht hatte, erhielten sie die Nachricht, dass der Papst sie unverzüglich empfangen werde.
Ermesenda legte ihre beste Galakleidung an, ohne ein Detail zu vernachlässigen: Der Heilige Vater sollte sehen, dass er es mit einer mächtigen Frau zu tun hatte, die dennoch sowohl bescheiden als auch von entsetzlicher Trauer betrübt war. Hierfür wählte sie einen reich mit Perlen bestickten Bliaud von strenger schwarzer Farbe aus, dessen Halsausschnitt bis oben verschlossen war; seine Ärmel lagen eng an den Armen an und reichten bis zu den Handgelenken. Sie zeigte ihr abgezehrtes Gesicht ohne einen Tupfen weißer Schminke an den Wangen. Als die Gräfin ihr Bild im Spiegel betrachtete, fühlte sie sich hochzufrieden. Es klopfte diskret an ihre Tür.
»Kommt herein, Guillem.«
Der Bischof trat ein. Er machte einen wirklich bekümmerten Eindruck.
»Herrin, seid Ihr bereit?«
»Selbstverständlich, Bischof. Ich habe mich nicht so kostümiert, um an einem Karnevalstanz teilzunehmen.«
»Dann gehen wir gleich, Herrin. Das Protokoll verlangt, dass wir uns im Vorsaal des Kammerherrn einfinden müssen, bevor wir vom Heiligen Vater empfangen werden.«
»Wartet einen Augenblick, Guillem.«
Mit einer herrischen Geste wies sie eine Gesellschaftsdame an, ihr eine schwarze Spange ins Haar zu stecken, an der eine graue Spitzenmantille befestigt war, die ihr glatt, wie ein leichter Vorhang, übers Gesicht fiel.
»Haltet Ihr meine Tracht für angemessen, Guillem?«
»Vortrefflich: sittsam und schlicht. Dass Ihr Euer Gesicht verbergt, halte ich für ein Detail, das Bescheidenheit und Züchtigkeit bekundet, was den Augen des Heiligen Vaters gewiss höchst angenehm sein wird.«
»Und außerdem hilft es mir, zu beobachten, ohne selbst beobachtet zu werden. Wie unüberlegt Ihr seid!« Ermesenda unterdrückte ein ironisches Gelächter. »Natürlich müsst Ihr in Eurer Diözese Vic keine Kunstgriffe der hohen Politik anwenden. Vorwärts, ich bin bereit.«
Der Geistliche lief erstaunt der Gräfin nach. An der Kammertür erwarteten sie ein Mönch und zwei Wächter. Gänge, Säle, Treppen ohne Ende, sie alle unter dem Schutz von Wachen.
Nach dem langen Weg gelangten sie zum Raum des Kardinals Bilardi, des päpstlichen Sekretärs und Kammerherrn. Der Priester, der sie begleitete, wechselte ein paar kurze Worte mit dem Offizier, der die Tür bewachte, und nachdem dieser sich mit jemandem beraten hatte, der unsichtbar blieb, führte er sie in den kleinen Saal, wo der hohe Geistliche die Besucher des Papstes als Erster empfangen sollte.
Nach einer kurzen Wartezeit erschien der Kammerherr feierlich und majestätisch an der Tür seines Amtsraums. Er trug einen Überrock mit weiten Ärmeln, der mit einer breiten, scharlachroten Samtbinde um die Taille zusammengehalten wurde. An seiner Brust hing eine Goldkette mit einem kunstvoll gestalteten Kruzifix. Der Geistliche trat auf die Gräfin zu, und der Bischof erbleichte, als er sah, dass sie ihn empfing, ohne sich von ihrem Sitz zu erheben, als befände sie sich in Gerona und nähme die Huldigung eines niederen Geistlichen aus einer ihrer Pfarrgemeinden entgegen.
Der erfahrene Sekretär, der in seinem Auftreten besten florentinischen Stil zeigte, tat so, als hätte er die Unhöflichkeit nicht bemerkt, denn er verstand, dass diese Geste von einer mächtigen katalanischen Gräfin kam, die jene problematischen Lande de facto regierte. Deren verwickelte, von Feudalpakten und verwandtschaftlichen Bindungen gekennzeichnete Herrschaftskonflikte waren ja so schwer zu durchschauen. Er begrüßte sie liebenswürdig und ritterlich.
»Meine liebe Gräfin! Mir sind die Umstände unbekannt, die Euch genötigt
haben, uns zu besuchen. Doch ich freue mich, dass wir Römer uns aus diesem Grund Eurer Anwesenheit erfreuen dürfen.«
Geheimnisvoll und würdig antwortete die Gräfin: »Mein lieber Bilardi! Bis heute hatte ich nur aus Berichten von Euch erfahren, die mir mein guter Diener Guillem von Balsareny aus Rom bringt. Von nun an darf ich uneingeschränkt versichern, dass der Kammerherr des Heiligen Vaters ein
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