Das Vermächtnis des Martí Barbany
sich zu nehmen, wenn der Papst seine vorherige Ehe nicht annulliert.«
Die Brauen der Gräfin Ermesenda reckten sich bedrohlich empor, und eine Ader an ihrer Stirn schwoll dick an, was sehr Schlimmes ankündigte, wie der gute Bischof wusste.
Ihre Stimme klang diesmal ruhig und scharf wie das Zischen einer Natter.
»Erklärt mir alles mit sämtlichen Einzelheiten.«
Guillem von Balsareny legte längere Zeit dar, wie sich die Dinge verhielten, und schließlich zeigte er Ermesenda von Carcassonne den Brief des Heiligen Vaters.
Nachdem ihn die Gräfin aufmerksam gelesen hatte, legte sie das beunruhigende Sendschreiben in ihren Schoß und wandte sich an den untröstlichen Prälaten, der besorgt auf die Entscheidung der Herrin wartete, wusste er doch, dass sie fest entschlossen war, die ihr als Erbe gehörenden Grafschaften zu schützen. Es hatte sie unsägliche Mühen gekostet, sie im Kampf gegen den aufsässigen Adel als Einheit zu erhalten, um sie zuerst für ihren Sohn und danach für ihren Enkel zu bewahren.
»Was denkt sich dieser unvernünftige Mensch? Ich habe mein Leben aufgeopfert, um die Wünsche meines Gemahls zu erfüllen – und was will er nun erreichen? Will er für eine unsittliche und unanständige Leidenschaft die Grafschaft Barcelona opfern? Denn gewiss wird sie gegen seine schamlose Tat rebellieren. Oder will er den Ansprüchen des erbärmlichen Mir Geribert nachgeben, der es gewagt hat, sich zum Fürsten von Olèrdola zu proklamieren? Daran darf er überhaupt nicht denken! Macht Euch keine Sorgen, Bischof. Ich werde die Schwierigkeiten mit meinem Nachbarn in Ampurias bewältigen und meinen verrückten Enkel wieder auf den rechten Weg bringen. Dem Ersten werde ich Botschaften durch meinen Schwiegersohn Roger de Toëny übermitteln. Ich kann ihn zwar nicht ausstehen, doch in solchen Nöten ist er sehr nützlich. Seine Heerscharen, die sich offenbar nicht wohlfühlen, wenn sie übermäßige Ruhe genießen, können sich so auf eine besondere Weise unterhalten, indem sie seine Felder zerstören und die Ernten verbrennen, falls er sich nicht zu einem ehrenhaften Frieden bereitfindet. Und mein Enkel wird von mir hören, sobald ich mit dem Papst über diese schimpfliche Angelegenheit gesprochen habe.«
»Der Heilige Vater residiert in Rom, und ich halte es für sicher, dass er sehr beschäftigt ist. Ich glaube nicht, dass Seine Heiligkeit geplant hat, Euch zu besuchen, Gräfin.«
»So alt bin ich nicht. Es wird mir eine Freude sein, die Engelsburg aufzusuchen, und ich hoffe, dass mich der Papst mit der gleichen Achtung empfängt, mit der ich ihn empfangen würde. So viel ich weiß, ist der Weg von Rom nach hier ebenso lang wie der von hier nach Rom. Meine Maultiere können gut laufen, und meine Schiffe überqueren schnell und oft das Mittelmeer.«
20
Die Arbeiten und die Tage
Barcelona, Sommer 1052
M artí Barbany war gelungen, was er so sehr herbeigesehnt hatte. Eudald Llobet hatte mit seinem Einfluss erreicht, dass er in die Geschäftsräume bestellt war, in denen Bernat Montcusí, der Marktaufseher und Finanzberater Ramón Berenguers I., die Angelegenheiten erledigte, für die er zuständig war. In diesen Tagen hatte er übergenug zu tun. Der Prohom empfing in einem dreistöckigen Gebäude, und Martí begriff, wie wichtig dieser Mann war, als er beobachtete, wie viele gravitätisch auftretende Bürger sich eifrig darum bemühten, zu ihm vorgelassen zu werden. Aus dem Wagenhof stieg eine Marmortreppe mit schmiedeeisernen Säulen und einem Geländer aus Edelholz empor. Sie führte zu einer Galerie, von der mehrere Türen abgingen. Jede einzelne wurde von einem Diener beaufsichtigt, der sich die Namen der Personen nennen ließ, die die einzelnen dort anwesenden und für ein bestimmtes Sachgebiet zuständigen Berater aufsuchen wollten. Martí stieg die Stufen zum ersten Stock hoch und ging zur vorletzten Tür, wie es ihm Eudald Llobet angegeben hatte. Der junge Mann betrat einen prächtig ausgestatteten Saal, in dem sich mehrere Gruppen von Bürgern freundschaftlich unterhielten, während sie darauf warteten, aufgerufen zu werden. Mit seiner angeborenen Beobachtungsgabe erkannte er, dass sie zwar alle bestimmte Gemeinsamkeiten hatten, jedoch dazu neigten, sich nach Berufen zusammenzustellen: Die Kaufleute vermischten sich nicht mit den Grundbesitzern und diese nicht mit den Rittern. Hin und wieder erschien an der hinteren Tür ein Diener und rief jeweils zwei der Anwesenden. Zunächst konnte
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