Das Vermächtnis des Martí Barbany
ihren Fesseln befreit.
»Ihr könnt sehen, dass wir uns wie echte Ritter benehmen. Wir lassen Euch nicht waffenlos mitten im Wald zurück, wo Ihr jedem wilden Tier ausgeliefert wäret, das Euch in die Quere kommt. Ihr habt nun lediglich einen längeren Weg vor Euch. Das brauchen wir, damit wir genug Zeit haben, um unsere Pläne auszuführen. Wenn sich der Graf von Toulouse so vernünftig wie sein Hauptmann verhält, könnt Ihr bald die Freude haben, Eure Gräfin wieder in der Burg willkommen zu heißen.«
Der Hauptmann der Truppe ließ sich nicht einmal dazu herab, dem Übeltäter zu antworten. Er hielt das Ende des Pfeilschafts, der aus seiner Achsel hervorstand, mit der anderen Hand fest, und wandte sich in
niedergeschlagenem und trotzdem stolz klingendem Ton an seine Herrin.
»Gräfin, Ihr wisst, dass ich für Euch gestorben wäre, wenn Ihr nichts anderes befohlen hättet. Ich melde Eurem Gemahl, was sich an diesem Unglückstag ereignet hat, und ich warte begierig auf die Gelegenheit, es diesem ruchlosen Gesindel heimzuzahlen.«
»Geht, Hauptmann. Ihr sollt wissen, dass Ihr Eure Ehre makellos bewahrt habt. Die Ereignisse bestimmen über uns alle, wir sind ja nur Blätter im Wind des Schicksals«, antwortete Almodis und bemühte sich, eine Trauer zu bekunden, die sie nicht im Geringsten verspürte.
Die Räuberbande schwang sich in den Sattel, und auf die Kruppen der Pferde von Gilbert d’Estruc, Perelló Alemany und Guillem von Oló setzten sich Almodis, ihre Dame Lionor und der kleine Delfín, der vor Angst mit den Knien schlotterte. Hermosa war am Sattel eines Reiters festgebunden.
23
Gefährliche Teilhaber
Barcelona, September 1052
D as Herrenhaus des gräflichen Beraters Bernat Montcusí stand nahe beim Castellvell. Eine Seite stützte sich an die Stadtmauer, sodass man aus dem Haus direkt zu ihrem Wehrgang gelangen konnte. Die Bauweise, Festigkeit und Höhe des Hauses unterschied sich deutlich von denen der Nachbargebäude, die daneben wie Bauernkaten wirkten. Es bestand aus einem Erdgeschoss und zwei Stockwerken sowie aus einer Galerie. Diese wurde von einem Vordach auf symmetrischen Bogen bedeckt. Am Eingang erhob sich ein weiterer Bogen, der zu einem kleinen Waffenhof führte, auf dem mehrere Nebengebäude für die Wache standen. Hinten schloss sich ein Garten an, den eine mit einer üppigen Schlingpflanze geschmückte Steinmauer umgab. Er war mit Sträuchern und Beeten bepflanzt. Mehrere Wege führten zu einem künstlichen Teich, in dem springende Karpfen die Besucher erfreuten. An der fernsten Hausecke diente eine mit Laubwerk bedeckte Pergola im Sommer als Speiseraum, wenn die Stadt von der Hitze geplagt wurde. Martí Barbany lenkte sein Pferd zu diesem Herrenhaus. Er konnte noch immer nicht ganz an den guten Stern glauben, der sein Schicksal leitete, seitdem er den Boden Barcelonas betreten hatte. Als er ans Portal kam, stieg er ab und übergab einem Stallknecht die Zügel seines Pferdes. Der Knecht war unterrichtet, dass jemand seinen Herrn zum Mittagessen aufsuchen würde, und er fragte ihn nach Namen und Stand. Dann sagte er: »Der hochgeborene Herr Bernat Montcusí erwartet Euch in der Gartenlaube. Wenn Ihr die große Liebenswürdigkeit hättet, mir zu folgen...«
Der Diener ging voraus und betrat den Wagenhof, wobei er Martís Pferd am Zügel führte. Dieser schüttelte sich den Staub von den Hosenbeinen
ab und folgte dem anderen. Als der Diener zu dem Bogen kam, der den Eingang der Pferdeställe begrenzte, übergab er das Tier einem Stallburschen, der ihm entgegenkam, und wies Martí mit einer Geste an, ihn zu begleiten. Beide schritten über die Schwelle des kühlen Grundstücks und betraten einen Backsteingang, der direkt in den Garten führte. Dort überließ es sein Begleiter einem Hausverwalter, der gewiss einen höheren Rang hatte, sich um den Gast zu kümmern. Er nahm den leichten Mantel und den Plüschhut Martís entgegen und führte ihn dann zur Gartenlaube. Je mehr sich Martí näherte, desto neugieriger beobachtete er mit den Augen eines Dörflers diesen wunderbar symmetrischen Obstgarten. Die schattigen Wege, die Wassergräben, die ordentlichen Beete... Alles verlangte eine sorgfältige Pflege. Sie konnte allein von den Händen solcher Leute geleistet werden, die sich ebenso wie sein Omar mit der Nutzung des Wassers auskannten.
Martí erblickte den Ratgeber. Er saß in der Gartenlaube und ertrug die peinigende Hitze, indem er ein Getränk schlürfte, das ihm ein kleiner
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