Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Erklärung vorzubringen hatte.
In seiner Verzweiflung sah er nur noch einen Weg: Er musste sich zu Graf Johann II. durchschlagen. So hieben seine Fäuste auf jeden ein, der sich ihm in den Weg stellte. Zwar war er kleiner als die meisten Wachen und weniger kampferprobt, doch er war dafür schneller und wendiger, und das nutzte er zu seinem Vorteil. Zudem beflügelte ihn die Angst um Freyja; für sie war er bereit, einiges einzustecken. Mit dieser Geisteshaltung schaffte er es tatsächlich bis vor den Eingang des Saals, wo er aber schließlich von zwei Wachen überwältigt wurde. Sie wollten ihn gerade fortzerren, da öffnete sich die Tür. Zwei dicke Wachmänner kamen heraus.
Dies war seine letzte Möglichkeit. Johannes schrie aus Leibeskräften: »Herr! Mein Fürst! Hört mich an!«
Die Wachen waren mittlerweile so wütend, dass sie sich nicht mehr beherrschen konnten. Ein gezielter Schlag auf Johannes’ rechtes Auge und einer auf seine Lippe reichten aus, um ihn vorerst zum Schweigen zu bringen.
Graf Johann hatte sich zwischenzeitlich erhoben. Mit seinem sehenden Auge blickte er auf die Szenerie und forderte zu wissen: »Was ist das für ein Lärm?«
Einer der Wachmänner kam näher und sagte: »Dieser Eindringling behauptet, eine wichtige Botschaft für Euch zu haben, doch in Wahrheit ist er nur ein zerlumpter Kerl, der nach einer Abreibung bettelt. Verzeiht, wenn er Euch gestört hat.«
»Was für eine Botschaft ist es, die er meint für mich zu haben?«
Nun wurde der Wachmann rot. »Ich weiß es nicht genau. Aber er hat uns sofort angegriffen …«
»So? Und erst hier habt ihr es vermocht, ihn zu stoppen? Wozu habe ich so viele Wachen, frage ich mich?«
»Herr, er war äußerst skrupellos und hat …«
»Schweig! Ein Mann, der von solch einem starken Willen beseelt ist, dass er sich gegen mehrere Wachmänner stellt, erscheint mir entweder des Lebens müde, ober er trägt wahrlich Wichtiges mit sich herum. Lasst ihn los. Er soll näherkommen!«
Sichtlich ungern folgte der Wachmann dieser Anweisung. »Du hast noch einmal Glück gehabt, du Mistkerl«, raunte er dem Fremden verärgert zu und verpasste ihm noch einen letzten Tritt.
Johannes rappelte sich mühevoll auf und wischte sich das Blut vom Mund. Sein rechtes Auge hatte sofort begonnen zuzuschwellen. Schon jetzt konnte er dadurch fast nichts mehr sehen; bloß das, was direkt vor ihm lag. So achtete er nicht auf die übrigen Menschen im Saal und hielt leicht benommen auf das Grafenpaar zu. Kurz vor ihnen blieb er stehen. Er wusste nicht so recht, wie er sich zu benehmen hatte, deshalb verbeugte er sich zuerst vor Johann II., dann noch ein weiteres Mal vor dessen Gemahlin und ein letztes Mal vor einer jungen Schönheit, die neben der Gräfin saß. Sie musste in etwa so alt sein wie Freyja, und Johannes schätzte, dass es die Tochter des Grafenpaares war.
Walther hatte hastig nach Runas Hand gegriffen, als ihm klar geworden war, wer da in die Halle kam. Noch immer hielt er sie fest umschlossen und hinderte seine Frau daran, sich zu ihrem Bruder umzudrehen, zu dem sie beide mit dem Rücken saßen. Langsam schüttelte er den Kopf. Sie verstand, auch wenn ihre Hände daraufhin zu zittern begannen.
Auch Johann II. hatte Walthers Geste gesehen. Er richtete sich ein wenig gerader auf und befragte den Mann, ohne das Wort an seinen einstigen Spielmann zu richten, der offenbar besser im Verborgenen bleiben wollte. »Was willst du hier? Warum kämpfst du mit meinen Wachmännern?«, fragte der Fürst.
Als Johannes Angesicht zu Angesicht mit dem Fürsten stand, überkam ihn plötzlich ein Gefühl der Ehrfurcht und Angst. Fast versagte seine Stimme, so bang war ihm, wenn er daran dachte, was er gleich würde erzählen müssen. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass es eine gute Idee gewesen war, hierhergekommen zu sein, und dass der Graf gnädig mit ihm verfuhr. »Ich habe Informationen, die die Fehdekämpfe vor über acht Jahren betreffen. Sie sind von solcher Wichtigkeit, dass ich sie niemandem anvertrauen kann.«
»Welche Nachricht kann es nach all den Jahren schon geben, die für mich noch von Interesse wäre?«
Johannes kam ins Schwitzen. So wenig interessiert, wie der Graf wirkte, konnte er nicht damit rechnen, besonders lange angehört zu werden. »Mein Fürst, es ist vielmehr eine Art Beichte meinerseits, als eine bloße Nachricht. Sie wird für Euch …«
»Wenn du beichten willst, Fremder, wende dich gefälligst an einen Priester. Und nun kläre
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