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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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die Lippen bringen, was ihm auf der Zunge lag?
    »Sprich gefälligst, oder willst du einen solchen Mann auch noch decken?«, fuhr ihn der Bürgermeister an.
    »Es bricht mir einfach das Herz«, begann er zögerlich. »Ich möchte es nicht glauben, aber alles spricht dafür.« Werner hob seine Hand, die zur Faust geballt war. Finger für Finger öffnete er sie. Zum Vorschein kam eine kleine Flöte, die an einem zerrissenen Lederband hing. »Sie gehört Thymmo. Ich kenne sie genau, er trug sie viele Jahre lang. Sie lag neben meinem Herrn im Gras.«
    Ein Aufschrei ging durch die Menge, wovon ein besonders erschrockener des Erzbischofs Kehle entwich. Der Geistliche schaute zu dem jungen Mann hinüber, den er einst als Kinderbischof und somit als rechtschaffenen Schüler des Marianums kennengelernt hatte. Er konnte es nicht glauben.
    Auch Runa schrie ihren Protest nur so heraus: »Niemals! Was redest du da? Das ist nicht wahr!« Während sie ihre Worte rief, kämpfte sie sich ohne Rücksicht durch die Menge. Sie stieß jeden achtlos beiseite – ob Mann oder Frau, ob Kaufmann oder Bauer. Walther folgte ihr auf dem Fuße.
    Thymmo selbst stand inmitten der Schüler. Der Kreis um ihn wurde immer größer und die Blicke in seine Richtung immer abschätziger. Eine Weile lang war er zu geschockt, um etwas zu sagen oder sich zu regen.
    Runa und Walther hatten es bis zum Bürgermeister, zum Erzbischof und zu Werner geschafft.
    Letzterer schaute fast entschuldigend zur Mutter Thymmos, die er jetzt auch schon viele Jahre lang kannte, und hob beschwichtigend die Hände. »Ich kann es doch selbst kaum glauben«, gestand er verzweifelt. »Sagt mir, wie die Tatsachen anders zu deuten sind, und ich werde es mit Freude als die Wahrheit erachten.«
    Entsetzt rang Runa um erklärende Worte. »Aber … was für einen Grund sollte ausgerechnet Thymmo haben, den Ratsnotar niederzustechen? Er … er liebt ihn!« Ihre Entrüstung verwandelte sich mehr und mehr in Verzweiflung. »Ich weiß, dass er es nicht getan hat! Bürgermeister, Erzbischof, ich flehe Euch Männer an. Das … ist doch verrückt! Er ist sein … sein Mündel.« Jetzt wusste Runa nicht mehr, was sie sagen sollte. Von ihrer Erschütterung übermannt, flüchtete sie sich in Walthers Arme.
    Plötzlich traten fünf Männer aus der Menge und stellten sich vor dem Bürgermeister auf.
    »Wer seid ihr?«
    »Wir sind Müllersgehilfen aus der Obermühle.«
    »Habt ihr etwas zu diesem Fall beizutragen?«
    Der größte unter ihnen gab die Antwort: »Ja. Wir haben sie streiten sehen.«
    »Wen habt ihr streiten sehen?«, forderte jetzt der Erzbischof zu wissen.
    »Den Ratsnotar und sein Mündel. Und zwar lautstark. Vor einigen Tagen. Nachdem sie fertig waren, gingen sie im Zorn auseinander.«
    Runa fuhr herum und schlug die Hand vor den Mund.
    Walther herrschte den Mann an. »Und was beweist das? Gar nichts!«
    Der Bürgermeister ließ seine Augen kurz auf Walther und Runa ruhen. Dann sah er zu den Männern der Mühle, und darauf auf die Flöte in des Dieners Hand. An die Eltern gerichtet, verkündete er, was die Beweise ihn zu sagen zwangen: »Ich befürchte, ganz so ist es nicht. Wir müssen die Sache prüfen. Und bis dahin …« Er sprach es nicht aus, sondern drehte sich zu den Bütteln um. Sein Tonfall war eher traurig, denn zornig. »Ergreift ihn, und bringt ihn in die Fronerei.«
    Jetzt erst begann Thymmo sich mit Worten zu verteidigen. Beim Anblick der Büttel wich er ein paar Schritte zurück. »Nein, ich war das nicht! Niemals hätte ich das getan!« Die Männer ergriffen ihn und zerrten ihn in Richtung Portal.
    Runa brach zusammen, als man ihren Jungen an ihr vorbeiführte wie einen Verbrecher. Gerade noch konnte Walther sie auffangen.
    Margarete von Dänemark reagierte flink und ohne ihren Gemahl zu fragen. Mit einer unmissverständlichen Geste befahl sie einem seiner Ritter: »Schnell, man soll sie zum Kunzenhof bringen!«
    »Jawohl«, ließ dieser verlauten und hastete davon.
    Den Rest des Tages herrschte Durcheinander in der Stadt, die noch immer voll war von Menschen, welche auf eine Weise plötzlich überflüssig geworden waren. Niemandem war mehr danach, das Weihefest fröhlich zu begehen, allen saß der Schreck in den Knochen. Statt Gebete zu sprechen und Hymnen zu singen, stellte man Mutmaßungen darüber an, was wirklich geschehen war. Es war schwer zu glauben, dass jemand dem allseits so beliebten Ratsnotar etwas so Fürchterliches angetan hatte und dass es allem

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