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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Anschein nach sogar sein eigenes Mündel gewesen war.
    Auch an das vormals geplante Festmahl in der Halle des Kunzenhofs war nicht mehr zu denken, weshalb hier, neben dem Grafenpaar und ihrem Gefolge, nur noch Margareta, Runa und Walther anzutreffen waren.
    Die Gräfin hatte gut daran getan, die drei Erschrockenen zum Hof bringen zu lassen. Hier waren sie wenigstens sicher vor all den Blicken und konnten ihre Gedanken ordnen. Leider jedoch gab es nicht viel, was sie sonst tun konnten – weder für Thymmo, der in der Fronerei einsaß, noch für Johann Schinkel, den man in seine Kurie gebracht hatte, wo er derzeit von Priestern, Beginen und Heilern umringt war.
    So verweilten sie, warteten gespannt auf Nachricht, die einen stehend, die anderen sitzend, wieder andere gingen unruhig umher. Es war still in der Halle, während im Rathaus laut gestritten wurde und Neuigkeiten zusammengetragen wurden. Jeden Augenblick konnte der Propst eintreffen, der von der Sitzung berichten sollte, in der man Werner, die Müllersgehilfen und jeden anderen Mann, der meinte, etwas zur Sache zu sagen zu haben, erneut anhörte.
    Außerdem wurde der Erzbischof erwartet, mit Kunde über Johann Schinkels Befinden.
    Runa saß schon seit einer Ewigkeit mit unbeteiligtem Gesicht an der Tafel und nahm nichts um sich herum mehr wahr. Johann war ihr stets so unverwundbar vorgekommen. Und nun? Nun würde er vielleicht sterben – und mit ihm die Wahrheit, die Thymmo, seinen eigenen Sohn, vielleicht noch retten konnte. Möglicherweise würde sogar Thymmo sterben – obwohl Runa von seiner Unschuld fest überzeugt war. Nachdenklich erhob sie sich von ihrem Platz und trat an eines der Fenster, an dem sie vor vielen Jahren häufig gestanden hatte. Sie schaute hinaus auf den Hof. Dabei drängte sich ihr förmlich ein Gedanke auf: Ließ Gott sie beide jetzt für ihre Sünde büßen? Und bestrafte er auch gleich Thymmo mit, als Frucht dieser Sünde? Sie kam zu keinem Ergebnis. Dann erblickte sie den Propst, wie er über die freie Fläche geeilt kam, und dicht hinter ihm den Erzbischof. Endlich! »Sie kommen«, brauchte Runa nur zu sagen. Alle wussten Bescheid und setzten sich unverzüglich wieder an die lange Tafel.
    Albrecht von Schauenburg und Giselbert von Brunkhorst setzten sich dazu, nahmen sich jedoch beide keinen Wein. Ohne Verzug begann der Erzbischof zu erzählen. »Der Ratsnotar hat sein Bewusstsein noch nicht wiedererlangt, und es ist fraglich, ob er es jemals zurückerhalten wird – so schwach ist sein Herzschlag, sagen die Beginen.«
    Das Entsetzen über diese Kunde war allen Männern und Frauen im Saal anzusehen. Niemand hatte Worte für das, was sie fühlten, doch ein jeder zeigte es auf seine Weise.
    Als Walther sich nun an den Propst wandte, machte er sich auf das Schlimmste gefasst. »Und Thymmo?«
    »Sie haben ihn für schuldig befunden …«
    »Nein«, hauchte Runa und spürte gar nicht, wie Margareta ihr tröstend eine Hand auf den Arm legte.
    Albrecht sprach weiter. »… jedenfalls so lange, bis der Ratsnotar erwacht und etwas Gegenteiliges sagt.«
    »Und wenn er nicht erwacht?«, fragte Margareta tränenerstickt.
    »Dann wird der Junge sterben!«
    Runa schlug ihre Hand vor den Mund und erstickte so das Geräusch ihres Aufschluchzens.
    Der Propst schaute berührt, doch erinnerte sich gleich wieder seines Auftrages hier als Kirchenmann auf Erden. »Lasst uns das Einzige tun, was uns jetzt noch zur Wahrheit verhelfen kann – wie auch immer diese sein mag.« Mit einem Nicken übergab er das Wort dem Erzbischof, der von ihnen beiden die höhere klerikale Stellung innehatte.
    Giselbert nickte zurück, hob die Hände, sodass deren Innenflächen zum Himmel zeigten, und sprach: »Möge Gott uns beistehen. Oremus!«
    Alle Anwesenden falteten ihre Hände und warteten, dass der Geistliche mit seinen trostspendenden Worten begann.
    Doch stattdessen hörten sie von außerhalb des Saals plötzlich lautes Gebrüll und Gepolter.
    »Was ist da los?«, fragte Graf Johann ärgerlich in die Runde. »Seht nach«, befahl er zwei dicken Wachmännern.
    Johannes von Holdenstede wehrte sich mit Händen und mit Füßen. Er hatte sich über die Wege von Kiel nach Hamburg gekämpft, hatte es in die Stadt geschafft, deren Mauer am heutigen Festtage zu seinem Glück nicht so streng bewacht wurde wie sonst, und war bis vor die Tore des Kunzenhofs gekommen. Hier jedoch sollte seine Reise plötzlich enden. Man wollte ihn nicht einlassen, ganz gleich, was er zu seiner

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