Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
mich endlich auf und sprich besser schnell. Ich verliere langsam das Interesse an dir«, forderte Johann II. und wedelte ungeduldig mit der Hand.
»Mein Name ist Johannes, und ich bin heute bloß ein einfacher Mann. Doch vor acht Jahren, als Hamburg mit dem Angriff Eures Vetters am Kinderbischofsspiel einen seiner schwärzesten Tage erlebte, da war ich Euer Feind. Mein Herz ist seither schwer, denn ich habe einen Fehler gemacht. Diesen Fehler wünsche ich jetzt auszumerzen, selbst wenn Strafe mich daraufhin ereilen sollte.«
Graf Johann II. schaute mit seinem verbliebenen Auge auf sein Gegenüber, beugte sich vor und fragte: »Was soll das heißen? Ich kann dir nicht folgen. Was hast du mit dem Überfall zu tun? Erzähle von vorne.«
»In der Zeit, als die Fehde zwischen Euch und Eurem Vetter entbrannte, kreuzte mein Weg den eines Geistlichen und seines Gefährten in Münster. Ich schloss mich ihnen an. Schnell erfuhr ich, dass des Geistlichen Herz voller Hass für dessen Ziehsohn war. Zusammen mit seinem Begleiter erdachte er sich einen Weg, um sich an jenem Mann zu rächen, wozu wir den Grafen von Stotel aufsuchten, dem aus gewissen Gründen ebenso daran gelegen war, des Geistlichen Ziehsohn aus dem Weg zu schaffen. Die Herren von Stotel wiederum schlossen sich für diesen Zweck Eurem Vetter Gerhard II. an und zogen gemeinsam mit ihm an dem besagten schwarzen Tag gegen Hamburg.«
»Was du da sagst, ist kaum zu glauben. Die Grafen von Stotel haben sich meinem Vetter angeschlossen? Warum? Dieses Grafenhaus hat keinerlei Verbindung zu mir – weder feindliche noch freundschaftliche.«
»Das Ganze ist äußerst verworren. Lasst mich weiter erklären, mein Fürst, dann wird es klarer.«
»Gut, sprich!«
»Es stimmt, die Grafen von Stotel hegen keinen Groll gegen Euch, noch hegen sie freundschaftliche Gefühle Eurem Vetter gegenüber – ihr Ziel war ein anderes, nämlich das Unschädlichmachen eines Eurer Günstlinge.«
»Ich verstehe noch immer nicht«, brauste der Graf nun auf. »Nennt endlich Namen!«
Johannes nickte beschwichtigend. »Der Geistliche, von dem ich spreche, ist Vater Everard, der Beichtvater …«
»… meines Vetters!«, ergänzte Johann II.
»Stimmt genau. Und der Ziehsohn dieses Geistlichen ist Euer damaliger Spielmann Walther von Sandstedt«, erläuterte Johannes.
»Und was haben die Grafen von Stotel damit zu tun? Warum schließen sie sich einer Fehde an, wegen eines Spielmanns, der der Ziehsohn eines Landgeistlichen ist?«
»Nun, das ist leicht zu erklären. Euer ehemaliger Spielmann Walther ist nämlich weit mehr als nur der Ziehsohn eines Landgeistlichen. Er ist der uneheliche Abkömmling Gerberts von Stotel aus der Verbindung zu einer Stedingerin!«
Johann II. sprang auf. »Das kann nicht sein!« Sofort war ihm die Tragweite der eben genannten Verbindung klar.
Nun war es Walther, dessen Hände anfingen zu zittern – hörte er die so viele Jahre schmerzlich vermisste Wahrheit über seine Herkunft doch jetzt das erste Mal. Konnte das, was Johannes da sagte, tatsächlich wahr sein? Er, der bedeutungslose Junge aus einem friesischen Dorf, war in Wahrheit ein Bastard des Grafen von Stotel? Walther verengte die Augen, während er in Gedanken verfiel. Auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte. Stotel . Wo hatte er diesen Namen schon mal gehört? Es wollte ihm noch nicht einfallen.
Von allen unbemerkt, war dem Erzbischof ein gewaltiger Schreck durch die Glieder gefahren. Die Worte des Fremden trafen ihn so hart, wie ein Schmiedehammer ihn niemals hätte härter treffen können. Scheinbar von selbst griff seine Hand nach dem altgewordenen Papier, das ihm heute Morgen aus dem zerrissenen Gewand gefallen war. Für sich, still und unauffällig, überflog er die Zeilen das dritte Mal in zehn Jahren. Konnte das wirklich wahr sein?
Graf Johann bekam davon nichts mit. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Herausfinden der Wahrheit. »Sag mir sofort: Woher hast du dieses Wissen? Ist es glaubwürdig, was du behauptest?«, fragte der Schauenburger misstrauisch.
»Der Geistliche selbst hat es mir in einer Schenke in Münster erzählt. Eigentlich hatte er vor dreiundvierzig Jahren einen Eid schwören müssen, den Jungen aufzunehmen und seine Herkunft auf ewig geheim zu halten. Doch er hat seinen Schwur gebrochen und zuerst seinem Gefährten, später mir, und schließlich auch dem Grafen Johannes I. von Stotel davon erzählt, der von dem dunklen Geheimnis seines Vaters nichts geahnt hatte.
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