Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Bis heute soll selbst Walther von Sandstedt keine Ahnung von seiner Herkunft haben; und er weiß vermutlich ebenso wenig, dass er einer der Gründe für den Ausbruch der Fehde war. Die Wahrheit ist, damals vor acht Jahren entkam er nur knapp dem Tode.«
Jetzt riss Walther die Augen auf. Seine Finger legten sich immer enger um Runas zarte Hand. Doch nicht etwa wegen dem, was Johannes gerade gesagt hatte, sondern weil es ihm eingefallen war. Er hatte es gewusst; er war dem Grafen von Stotel bereits begegnet! Und zwar in Kiel auf dem Turnier. Plötzlich war es wieder vor seinem geistigen Auge. Damals, als Eccard gestürzt und er zu ihm auf den Kampfplatz geeilt war, gab es diese eine Begegnung. Der gegnerische Ritter hatte Walther hinter seinem Helm ganz merkwürdig angesehen und sein Antlitz nicht zu erkennen gegeben. Weder an diesem Tage, noch an dem darauf, wo er ganz plötzlich aus Kiel abgereist war und die Gräfin Margarete dadurch sehr verärgert hatte. Jetzt ahnte Walther den Grund für dieses Verhalten: Sehr wahrscheinlich war ihm und dem Grafen ihre Verwandtschaft anzusehen.
Johann II. war nun weniger barsch in seinen Worten, sondern vielmehr äußerst interessiert. »Erzähle mir vom Tag des Überfalls auf Hamburg.«
»Graf Johannes I. von Stotel war über die Nachricht, dass der Bastard seines Vaters in Euren Gunsten steht, so beunruhigt, dass er veranlasste, ihn und all seine Nachfahren töten zu lassen. Es kam ihm dabei sehr zupass, dass Ihr Eurem verarmten Vetter gerade die Fehde erklärt hattet. Jene Fehde eröffnete dem Stoteler nämlich die Möglichkeit eines Tauschgeschäftes: Er stellte Gerhard II. die fehlenden Ritter und Münzen und forderte das Beseitigen Walthers und seiner Nachkommenschaft.«
»Welche Aufgabe hattet ihr und der Geistliche mit seinem Begleiter?«, fragte der Fürst nun und versuchte, nicht den Anschluss in dieser verworrenen Geschichte zu verlieren.
»Um herauszufinden, wo Walther von Sandstedt und seine Kinder sich aufhielten, schickte man einen Kundschafter in die Stadt, den niemand in Hamburg kannte. Er heißt Kuno, es war der Begleiter Everards. Durch Kuno wussten wir, dass Thymmo stark bewacht in der Kurie des Ratsnotars lebte, und es schwer werden würde, ihn zu ergreifen. Walther von Sandstedt und dessen Tochter jedoch waren leichtere Ziele. Der Angriff auf Hamburg verlief aber nicht wie geplant. Durch den Überlauf des Ritters Eccard Ribe zu Euch und sein unerwartetes Auftauchen in Hamburg verloren die Männer Gerhards II. und Johannes’ I. die Oberhand. Obwohl ein Teil der Ritter schon fast bis zur den Kurien vorgedrungen war, von wo der Junge geholt werden sollte, wurde der Plan des Grafen überstürzt geändert, und sie zogen ab, um nicht noch mehr Verluste zu erleiden. Wenigstens eine von Sandstedt hatte man ergriffen – Freyja, die Tochter.«
In diesem Augenblick sprang Walther auf. Er war so in Zorn, dass er aus dem Stand über die Bank setzte. Dann stürzte er ungehalten auf Johannes zu.
Dieser hatte Walther bislang ebenso wenig bemerkt wie Runa und Margareta. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf das Grafenpaar gerichtet gewesen, nicht auf dessen Gefolgschaft auf der Seite seines mittlerweile gänzlich zugeschwollenen rechten Auges. Er war vollkommen überrumpelt.
Walther packte Johannes am Kragen und hob ihn daran hoch, sodass dieser bloß noch die Zehenspitzen auf dem Boden hatte. »Du hast sie getötet? Du hast meine Tochter auf dem Gewissen?«
»Walther, warte …«, stammelte Johannes ungehört.
»Schweig du elender Hundsfott!«, schrie Walther außer sich vor Zorn. »Du … du …! Ich werde dafür sorgen, dass du dahinkommst, wo deine elende Ziehmutter Luburgis bereits ist. In die Hölle!« Mit diesen Worten ließ er ihn wie einen nassen Sack zu Boden fallen und sprang auf ihn. Seine Finger schlossen sich um Johannes’ Hals.
Keiner im Saal hatte das kommen sehen, und es verstrichen weitere Augenblicke, bis der Erste reagierte.
Johannes würgte und röchelte. Schnell färbte sich sein Gesicht rot. Er bekam kaum noch Luft, und seine Zunge trat wie von selbst hervor. Verzweifelt legte er seine Finger um Walthers Arme und zerrte daran, jedoch vergebens. Er war machtlos gegen einen Vater, der glaubte, den Mörder seiner Tochter vor sich zu haben. Mit letzter Kraft löste er seine Rechte und griff sich unter die Kleidung, wo er ein Tuch hervorholte. Es war jenes Tuch, welches Freyja verloren hatte.
Runa stürzte auf Walther zu und zerrte an seinen
Weitere Kostenlose Bücher