Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
verbeugte sich tief mit ausgebreiteten Armen. »Nur zu. Seht Euch um. Ich habe nichts zu verbergen.«
Johann II. ließ seinen Blick weiter auf Ludolph ruhen, als er seine Hand hob und die Männer hinter sich mit einem Wink aufforderte, die Burg zu durchsuchen.
Die gräflichen Gefolgsleute waren schnell und gründlich. Niemand hielt sie auf, als sie über die zweite Brücke auf die Hauptburg ritten und sich die Stallungen, die Wirtschaftsgebäude, den Aufbau über dem Torbogen und sogar den runden, steinernen Turm vornahmen, der bloß durch einen Eingang im zweiten Stock über eine angelehnte Leiter zu betreten war. Sogar die dritte Insel, auf der sich nur der Garten befand, wurde abgesucht. Nichts! Keine Freyja oder auch nur ein Zeichen von ihr.
»Habt Ihr gefunden, was Ihr sucht, Graf Johann?«, fragte Ludolph Scarpenbergh mit einigem Hohn.
»Wo ist Marquardus?«
»Ich schätze dort, wo sein Herr Gerhard II. ist. Und wo sich Euer Vetter und Feind aufhält, solltet Ihr doch wohl am besten wissen.« Jetzt trat er einige Schritte zurück, wies auf den Ausgang und sagte: »Wenn Ihr jetzt alles gesehen habt, gibt es keinen Grund mehr für Euch, länger hier zu verbleiben.« Der eben noch ruhige Ton des Ritters wurde nun etwas strenger – blieb aber gerade noch so höflich, dass er Johann II. keinen Anlass für einen Kampf gab. »Verlasst Burg Linau und nehmt Eure Männer wieder mit. Meine Gastfreundschaft ist endlich.«
Walthers Gefühle waren eine Mischung aus Enttäuschung und Ungläubigkeit. Ein letztes Mal schaute er sich noch um. Wenn Freyja tatsächlich auf dieser Burg wäre, hätten die Männer des Grafen sie gefunden. Als er zwischen den Bewaffneten durch das Torbogenhaus ritt, war er jedes Gefühls der Hoffnung beraubt. Was für ein Misserfolg. Ludolph hatte am Ende recht behalten: Er hatte nichts zu verbergen gehabt.
Graf Johann sprach seinen ehemaligen Spielmann an: »Es tut mir leid für Euch. Doch manchmal ist es gut, Gewissheit zu haben. Selbst wenn das Ergebnis unschön ist.«
Walther blickte den Schauenburger an und erwiderte: »Eure Worte sind wahr. Gewissheit bringt Frieden, doch leider nicht immer Glückseligkeit.«
9
Freyja erwachte, weil ihr ohne Rücksicht ein Haufen bestickter Seide entgegengeworfen wurde.
»Zieh das an!«, forderte der Mann, den man Kuno nannte.
»Was ist das?«, fragte sie und rappelte sich von dem steinharten Boden der Kammer auf, auf dem sie auch schon die vergangenen drei Nächte verbracht hatte.
»Freu dich, es ist dein Brautkleid«, erwiderte Kuno hämisch.
Freyja starrte ihn an.
»Heute ist deine Vermählung.« Fast klang er fröhlich.
»Was? Ich soll heiraten?«
»Ja, dein Zukünftiger wird jeden Moment hier eintreffen. Und dann solltest du als Braut doch bereit sein, oder etwa nicht?« Die Worte Kunos waren offensichtlicher Hohn und Spott.
Nur mühsam kontrollierte die junge Frau ihre Gefühle. »Wen werde ich heiraten?«
»Das wirst du noch früh genug erfahren. Spätestens dann, wenn du vor dem Priester stehst.«
Freyja hätte jetzt weinen oder gar um Gnade bitten können, doch sie tat es nicht. Ihr Innerstes schrie danach, zu betteln und zu winseln, doch was hätte das geändert? Wahrscheinlich gar nichts. Stattdessen klammerte sie sich an den einzigen Gedanken, der sie beherrschte, seitdem sie in der fensterlosen Kammer saß: Flucht! Doch dazu brauchte sie Hilfe. »Ich kann das nicht.«
Kuno sah belustigt auf sie herunter. »Glaubst du wirklich, das interessiert jemanden? Du wirst heiraten, ob du willst oder nicht.«
»Ich meine das Kleid«, sagte sie und hob ein Stück des Stoffs nach oben. »Ich kann es nicht alleine anziehen.«
»Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass ich eine Magd brauche, die es mir schnürt.«
»Darauf wirst du wohl verzichten müssen. Hier gibt es keine Magd für dich.«
»Nun gut, dann werde ich wohl noch vor der Ehe den Unbill meines Gemahls auf mich ziehen, weil ich ihm halb nackt unter die Augen treten muss. Nicht gerade das, was man sich von seiner Braut in Gegenwart eines Priesters wünscht.«
Kuno blickte von dem Stoff zu Freyja und wieder zurück. Sein Auftrag war gewesen, irgendein Kleid zu besorgen. Dass er scheinbar ausgerechnet eines herbeigeschafft hatte, das derart schwierig überzustreifen war, ärgerte ihn. Wortlos schloss er die Tür und verschwand.
Eine ganze Weile, nachdem sie die Tür ins Schloss fallen gehört hatte, vernahm Freyja nichts mehr. Irgendwann stieß sie das Kleid wütend von
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