Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Zuversicht. Sie brauchte dieser Tage all die Kraft ihrer Familie. Gemeinsam würde ihnen etwas einfallen. Darum wollten sie gehen.
»Seid stark und tapfer – es können noch schwere Tage auf Euch zukommen. Vertraut auf Gott.«
Ohne es direkt auszusprechen, war klar, dass die Gräfin Thymmo damit meinte.
»Ich danke Euch. Für alles! Möge Gott Euch beschützen.« Runa wich Margarete von Dänemark mit diesen Worten geschickt aus. Sie schob den Gedanken an Thymmos ungewisse Zukunft noch immer weit von sich, denn all ihre Hoffnung lag auf dem Erwachen seines Vaters.
In jenem Augenblick kam Graf Johann II. auf den Hof. Er nahm sein Pferd von einem Knappen entgegen und gesellte sich zu ihnen. Ruhig fragte er das Offensichtliche: »Ihr wollt gehen?«
»Ja, Herr. Nur habe ich keine passenden Worte des Dankes auf der Zunge. Jeder Satz scheint zu wenig zu sein, um wahrlich auszudrücken, was ich empfinde.«
Johann II. nickte bloß und ging somit über Walthers wortlosen Dank hinweg. Stattdessen sagte er: »Wir haben nicht ganz den gleichen Weg, dennoch biete ich Euch mein Geleit bis zur Grimm-Insel.«
»Das ist wirklich nicht nötig, mein Fürst«, versuchte Walther abzuwiegeln.
»Ich befürchte schon!«, widersprach der Graf deutlich und bestieg dabei seinen Schimmel. »Jedenfalls solange, wie man Euren Sohn für den Mörder des Ratsnotars hält.«
Diese Worte erinnerten Walther und Runa abermals an ihre Lage, und ließ sie erschaudern.
Der Schauenburger und seine Gemahlin trieben ihre Pferde vom Hof, die gemächlich die Altstädter Fuhlentwiete hinabschritten – dicht gefolgt von ihren acht Wachmännern, und von Walther, Runa, Johannes und Margareta. Am Ende der Straße bog die kleine Gefolgschaft nach rechts, schritt am Dom vorbei, wo das eigentliche Ziel der Grafen gewesen wäre. Doch sie hielten sich stattdessen links und dann wieder rechts. Hier betraten sie die Reichenstraße, die von den eifrigen Mägden und Knechten der Wohlhabenden bevölkert wurde. Leider waren sie nicht die Einzigen, die bereits erwacht waren. Runa hätte es sich gewünscht.
Als sie zwischen den großen Kaufmannshäusern hindurchschritten, schauten einige Bewohner aus den Fensterluken. Manche hatte das Hufgeklapper geweckt, andere warteten schon seit einiger Zeit darauf, einen Blick erhaschen zu können. Doch war es weniger der Graf, der ihr Interesse weckte. Nachdem jeder von ihnen der Festnahme Thymmos selbst ansichtig geworden war, hatte sich die Nachricht über das Eintreffen des lange verschollenen Sohnes Johannes von Holdenstede bereits wie ein Lauffeuer verbreitet. Auch die erfolglose Reise zur Burg Linau war ihnen nicht verborgen geblieben. Nun war die Neugier darüber, wie es Walther und Runa erging, in ihren Gesichtern abzulesen. Schaulustig starrten sie auf das Paar herab und gierten geradezu nach ihren Tränen.
Es war eigenartig still in der Straße der Reichen. Bloß hier und da hörte man die gedämpften Stimmen einiger Eheleute, die dem einstigen Spielmann und seinem Weibe jedes Glück und die Gunst der Grafen sowieso nie gegönnt hatten. Jetzt endlich bekamen sie Grund zu reden. Einzig die Gegenwart des Schauenburgers hielt sie davon ab, lautstark auszurufen, was sie dachten.
Runa schaute sich nicht um, sondern hielt die Augen auf den Boden gerichtet. Sie konnte die Blicke der Hamburger nicht ertragen, die sich so offensichtlich an ihrem Unglück labten. Sie hoffte nur, möglichst schnell an ihrem Haus anzukommen, wo sie die Türe hinter sich schließen konnte. Eine ganze Weile lang vermochte sie es, die Flüstereien zu missachten, doch als sie das Haus von Albus Ecgo und seinem Weib passierten, war es ihr unmöglich wegzuhören. Gaffend standen die beiden an der geöffneten Türe.
»Pah! Schau sie dir an, Albus. Jetzt tragen die von Sandstedts ihre Nasen wohl nicht mehr so hoch. Kein Wunder! Da ihr Sohn wahrscheinlich der Mörder des Ratsnotars ist, wird sich bestimmt auch der Graf bald von ihnen abwenden.«
Walthers Kopf fuhr herum. Er war weniger eingeschüchtert als Runa. Herausfordernd blickte er die Eheleute an und wollte gerade etwas erwidern, als plötzlich ein Ruck durch die neun Reiter vor ihm ging. Die Männer waren unvermittelt zum Stehen gekommen – der Grund war von hier aus nicht zu sehen.
Die Ecgos erschraken so sehr, dass sie sich Hals über Kopf ins Haus flüchteten, obwohl das plötzliche Anhalten selbstverständlich nicht ihnen galt.
»Was ist da drüben los?«, wollte Margareta
Weitere Kostenlose Bücher