Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
erwähntest?«
»Ulrich von Hummersbüttel und Marquardus Scarpenbergh.«
»Ausgerechnet …«, entwich es dem Grafen verächtlich, der nichts von diesen Männern hielt.
Johannes hatte alles gesagt. Er fühlte sich leer und plötzlich sehr erschöpft. Um ihn herum waren ratlose Gesichter. Zu vernehmen war nur Runas endloses Weinen. Er fragte sich, ob er, der hier nur hatte Hilfe für Freyja holen wollen, seiner und ihrer Verwandtschaft mit der Wahrheit bloß noch mehr Kummer bereitet hatte. »Natürlich weiß ich es nicht mit Gewissheit, doch vielleicht ist sie ja auf Burg Linau. Marquardus Scarpenbergh ist schließlich ein Vasall des Grafen Gerhards, somit gehört seine Burg zu dessen Besitzungen.«
Die Miene des Kieler Fürsten war seit der Nennung der ritterlichen Namen nicht zu deuten. Stumm blickte er auf den noch immer am Boden liegenden Johannes, der mittlerweile einen kümmerlichen Anblick bot, ja, er visierte ihn geradezu an. Langsam legte sich seine Stirn in Falten. Fast hätte der Fremde es geschafft, ihn zu überzeugen, doch mit Mal kamen die Erinnerungen an den Tag des Überfalls zurück. Viele Hamburger hatten damals ihr Leben lassen müssen – ebenso wie einige seiner treuesten Gefolgsleute, deren Schwertarm und tiefe Verbundenheit er bis heute schmerzlich vermisste. Und nun kam dieser Kerl aus dem Nichts, behauptete, dass ein Spielmann ein Graf war und dass eine Tote noch immer lebte; ohne jeden Beweis. »Burg Linau, sagst du? Interessant. Woher weiß ich, dass das kein Hinterhalt ist?«
Johannes war wie vor den Kopf gestoßen. Der plötzlich veränderte Tonfall in der Stimme des Grafen ließ ihn aufhorchen. »Hinterhalt? Wie meint Ihr das, mein Fürst?« Jetzt richtete er sich auf und machte eine abwehrende Geste mit den Händen, denn er verstand. »Bitte, Ihr müsst mir glauben …«
Der Graf streckte seinen Zeigefinger aus und warf ihm einen bedrohlichen Blick zu. »Ich muss dir gar nichts glauben. Du warst schon einmal mein Feind – waren das nicht deine Worte?«
»Ja, aber …«
»Kannst du das, was du sagst, belegen oder nicht?«
»Nein, aber …«
»Dann habe ich keinen Grund dir auch nur ein einziges Wort zu glauben. Vielleicht sollte ich dich in den Kerker werfen lassen.«
»Wartet«, sprach nun plötzlich der Erzbischof und stellte sich vor Johann II. auf; das Ablasspapier noch immer in den Händen. »Ich kann es selbst kaum glauben, aber ich habe einen Beweis für seine Worte. Er sagt die Wahrheit.«
Die nächsten Augenblicke zogen bloß an Walther vorbei; fast wie im Traum vernahm er die Stimme des Erzbischofs. Offenbar selbst fassungslos über seine Entdeckung, erklärte dieser, auf welche Weise er den Ablassbrief bekam. Dann hörte Walther, wie der Geistliche die Zeilen laut vor allen verlas:
… vor vielen Jahren kannte ich diesen Mann aus dem Norden. Ich war jung, und obwohl alles gegen unsere Liebe sprach, sein Alter, sein Stand, seine Gesinnung, ja sogar seine Ehe mit der Tochter eines meiner ärgsten Feinde, zeugten wir ein Kind. Jenes Kind der Liebe durfte ich nicht behalten. Es wurde an einen mir fremden Ort gebracht, und ich weiß nicht, ob der Junge noch lebt. Der Mann meines Herzens musste mir entsagen – unserem Kind zuliebe, welches in Gefahr vor seinen Söhnen war. Ich habe ihn nie wieder gesehen, nur von ihm gehört, wie man eben von derlei Männern hört. Das ist meine schlimmste Sünde. Ich habe gebeichtet – Gott, vergib mir! Mein Tod ist nah, aber endlich bin ich frei. Lever tod as Sklav !
Es passte alles zusammen, auch wenn es noch so unglaublich klang. Der Mann aus dem Norden war Graf Gerbert von Stotel, dessen Burg vom Stedinger Land aus tatsächlich im Norden lag, und die Tochter des ärgsten Feindes war Salome von Oldenburg, deren Sippe bis heute in Feindschaft mit den Stedingern lebte. Keiner konnte leugnen, dass dies ein wahrer Beweis für die Worte Johannes’ war – auch nicht der eben noch erzürnte Graf.
»Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich über dein Schicksal entscheiden werde. Denn einerseits bringst du mir die überaus nützliche Kunde über das Vorhandensein eines lange unbekannten Feindes, doch andererseits warst du vor vielen Jahren selbst einer meiner Feinde – und das ist unentschuldbar!«
Johannes ließ demütig den Blick sinken. »Ihr sagt es. Meine Schuld ist grenzenlos.«
»Ja, das ist sie. Doch Euer Wille, wenigstens etwas wiedergutzumachen, soll nicht ungesehen bleiben.« Der Fürst schaute auf Walther, der
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