Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
wissen.
Walther entfernte sich ein paar Schritte und sah, wie Johann II. etwas zu einem seiner Männer sagte, der daraufhin zu Walther und den Frauen trabte.
Freyja stand in der Kammer mit leerem Kopf. Immer wieder ruckte und zupfte es an ihr, doch sie nahm es kaum wahr. Nachdem sie dem Mädchen gesagt hatte, was sie für den Goldring tun sollte, waren alle Empfindungen von ihr abgefallen. Sie fühlte sich taub und machtlos. Jetzt konnte sie nichts mehr tun, außer zu hoffen, dass die Fremde Wort hielt. Ihre Zuversicht aber war gering. Warum sollte das Mädchen sich derart in Gefahr begeben, wo sie doch wusste, dass sie Freyja niemals mehr wiedersehen würde? Ganz bestimmt würde sie den Ring nehmen und verschwinden, und Freyja konnte es dem armen Ding nicht einmal verdenken.
Sie schaute an sich herab, sah die feine Seide, die nach einer fremden Frau roch, und versuchte sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal ein solch edles Tuch getragen hatte. Ganz bestimmt nicht im Kloster, soviel stand fest. Es war wohl damals in Kiel gewesen, als sie kurzzeitig auf der Burg gelebt hatten. Freyja strengte ihren Kopf an. Seitdem sie von Christin die Wahrheit erfahren hatte, hatte sie mehrmals versucht, die Bilder der Vergangenheit heraufzubeschwören, doch oft konnte sie nicht sagen, ob es Traumbilder oder Erinnerungen waren, die sie sah. Sie war damals so jung gewesen. Dennoch ereilten sie vereinzelt Bilder von einem hellblauen Kleid mit wunderschönen Stickereien am Kragen. Hatte es dieses Kleid wirklich gegeben? Sie wusste es nicht mit Gewissheit.
Das Mädchen hörte auf, an ihr herumzuzerren, und schritt zur Tür. Sie klopfte zweimal an das Holz, worauf die Tür geöffnet wurde.
»Sie ist angekleidet«, sagte sie zu Kuno, der sichtlich gelangweilt vor der Kammer gewartet hatte.
»Gut, dann verschwinde. Und denk daran, was ich dir gesagt habe. Sprichst du mit jemandem darüber, werde ich dich finden!«
»Ich sage zu niemandem ein Wort!«
Freyja sah, wie das Mädchen verschwand. Ohne einen Blick oder eine Geste, die sie wissen ließ, dass sie ihr Versprechen einlösen würde.
»Komm jetzt, dein Gemahl wartet schon auf dich.« Kuno schleppte Freyja mit sich und redete dabei mit ihr, ohne Antworten zu erwarten. »Einfach unglaublich, wie lange ein Weib braucht, um sich anzukleiden. Das Ausziehen geht bedeutend schneller – jedenfalls, wenn ein Mann zu Hilfe ist. Aber davon verstehst du ja nichts. Das heißt, noch nicht! Heute jedoch wird sich das ändern.«
Dann waren sie da. Freyja wurde in einen großzügigen Raum gestoßen. Und zwar genau vor Vater Everard!
Ihr stockte der Atem. Hatte sie es bislang kein einziges Mal geschafft, eine frühe Erinnerung heraufzubeschwören, kamen die Bilder jetzt von selbst. Sie sah sich in einer Küche sitzen und einen Kringel essen. Everard schlug sie hart mit der Hand. Wieder schien ihre Wange zu brennen wie damals. Jetzt öffnete Freyja den Mund. Sie wollte aus vollster Kehle schreien, da knebelte man sie und band ihr die Hände auf den Rücken.
Kuno kam von hinten dicht an ihr Ohr. So dicht, wie Freyja eben an dem des Mädchens gewesen war, und sagte: »Verzeih, aber im Gegensatz zu deiner behaglichen Kammer gibt es hier ein paar Fensterluken, und wir wollen doch nicht, dass du dich möglicherweise selbst um deinen Gemahl bringst, indem du um Hilfe schreist. Darf ich vorstellen, dein Zukünftiger!« Er nahm ihre Schultern in beide Hände und drehte sie um.
Marquardus sah ihr boshaft lächelnd ins Gesicht. »Das ist eine Überraschung, stimmt’s?« Langsam kam er näher. »Gerade habe ich dich noch über die Straßen geschleppt, und jetzt stehe ich hier als dein Zukünftiger. Entschuldige, dass ich dich ganze drei Tage habe warten lassen, aber wir konnten ja schlecht alle zusammen hier auftauchen, das wäre zu auffällig gewesen.« Nun stand er vor Freyja und begutachtete sie wie eine Ware. »Sicher kannst du dir das alles überhaupt nicht erklären, richtig? Nun, da du gleich mein angetrautes Weib sein wirst, will ich unsere Ehe mal mit ein paar Wahrheiten beginnen. Verstehe es ruhig als Zeichen meines Wohlwollens.«
Freyja war starr vor Schreck. Sie hatte Mühe, den Worten des Ritters zu folgen. Und auch das, was sie jetzt hören sollte, machte es nicht besser.
»Ich kann deine Gedanken förmlich hören. Du denkst, dass du doch viel zu nichtig bist, um die Gemahlin eines Ritters zu werden. Gar nicht so dumm von dir«, führte er das Gespräch mit sich selbst fort und
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