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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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mich eine tiefe Stimme. Es war der Pferdeknecht.
    »Ja, klar«, antwortete ich mit vollem Mund und rutschte zur Seite, sodass er sich neben mich setzen konnte. Schweigend begann er zu kauen. Dann schlürfte er geräuschvoll, als er einen Schluck Tee nahm.
    »Ein herrlicher Anblick«, sagte er. »Ich liebe den Sonnenaufgang. In ihm liegt stets ein neuer Anfang, und er gibt Hoffnung auf einen guten neuen Tag.«
    Ich nickte nur.
    »Ich bin Kerlon von Manskebir, der Pferdeknecht«, stellte er sich vor.
    »Ich bin Bevin von Ulbrin, Sohn des Alfgar«, entgegnete ich und nickte ihm zu.
    »Ich hörte, du bist der Schüler des Zauberers«, fuhr der Pferdeknecht fort, »und ich frage mich, was du schon alles gelernt hast?«
    Ich hatte jede Menge gelernt, aber nicht das Handwerk eines Zauberers, denn Magie gab es ja nach Meister Thiams Worten nicht. Sicherlich konnte ich schon ein paar seiner Taschenspielertricks, hatte die Weisheiten meines Herrn über das Leben und die Menschen gehört und auch sonst noch ein paar Dinge gelernt, aber mit Zauberei hatte das alles nichts zu tun. In den Legenden, die uns der Graue erzählt hatte, da wurden mittels Magie Wunder gewirkt. Im wahren Leben hatte ich allerdings noch nichts dergleichen erlebt.
    »Ich bin noch am Beginn meiner Ausbildung, lerne Dinge über meinen Geist und die Natur der Magie«, käute ich die von Thiam gelernte Antwort wieder.
    »Und dazu gehört es, den Esel zu treiben«, schmunzelte der Pferdeknecht.
    »Es gehört zu meinen Aufgaben als Diener, die mich die Demut vor der unbegrenzten Macht der Magie lehren sollen«, entgegnete ich und zitierte wieder nur das, was mir Thiam eingebläut hatte.
    Der Pferdeknecht wechselte das Thema: »Du bist gut zu dem Tier.«
    »Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, und in meiner Familie ist man gut zu den Tieren, weil man mit ihnen unter einem Dach lebt und auf ihre Hilfe angewiesen ist«, erklärte ich ihm und brauchte dabei nicht auf Thiams Weisheiten zurückzugreifen.
    Kerlon antwortete nicht.
    Ich sah zu ihm hinüber. Sein Blick war nicht mehr müßig in den Sonnenaufgang gerichtet, sondern auf einen fernen Punkt am Horizont, als erwarte er von dort ein Zeichen. Fast sah er wie ein Jäger aus, der am Rande einer Lichtung mit gespanntem Bogen auf den Hirsch lauert.
    »Was ist los?«, fragte ich, aber Kerlon winkte nur ab.
    »Das kann nicht sein!«, entfuhr es ihm schließlich, und es war, als spräche er nur zu sich selbst. »Es ist vor der Zeit, noch lange vor der Zeit!«
    Wie erstarrt saß er da. Sein Becher mit Tee rutschte vom Felsen; er achtete nicht darauf. In seinen Augen erkannte ich Unglauben und Staunen – aber auch Entsetzen. Er schien eine Bedrohung zu wittern.
    Ich sah mich um, niemand sonst war beunruhigt. Die Männer beendeten ihr Frühstück, einige bauten bereits das Lager ab, wieder andere spannten die ersten Ochsen und Zugpferde ein. Nichts deutete darauf hin, dass etwas Außergewöhnliches passierte. Ich folgte dem Blick des Pferdeknechts zum Horizont, aber ich konnte nichts entdecken.
    Bisher hatte Kerlon nicht den Eindruck erweckt, als wäre er wirr im Kopf, aber nun bekam ich leise Zweifel. War er verrückt?
    Plötzlich und ohne Vorwarnung erhob er sich und richtete sich kerzengerade auf.
    »Lauf Junge!«, sagte er in einem Ton zu mir, der keinen Widerspruch duldete. »Lauf nach Westen, lauf, und halte nicht an, bis du vor Erschöpfung zusammenbrichst. Sieh dich nicht um. Lauf!«
    »Bevin!«, drang Thiams Stimme an mein Ohr. »Komm sofort her!«
    »Hör nicht auf ihn!«, sagte der Pferdeknecht leise und doch eindringlich. »Lauf!«
    Klar, der Pferdeknecht war verrückt! Das war die Lösung. Es war ein wunderschöner, friedlicher Morgen an der Grenze zwischen Sommer und Herbst, inmitten einer lieblichen Hügellandschaft, und eine Gefahr war weit und breit nicht zu erkennen.
    »Ich komme!«, rief ich, und noch bevor mich der Pferdeknecht aufhalten konnte, rannte ich zu Meister Thiam. »Du bist verrückt!«, meinte ich noch zu Kerlon. Dabei warf ich einen Blick über meine Schulter. Er sah mir nach, und ich konnte die Enttäuschung in seinen Zügen lesen.
    Nicht lange danach setzte sich die Karawane in Bewegung. In den Wochen, die sie bereits unterwegs war, hatte sich eine gewisse Routine entwickelt. Geordnet zog ein Dutzend Fuhrwerke, zwei Kutschen, der Küchen- und der Vorratswagen, die Reiter und unser Eselskarren auf das Granitband der Straße in Richtung Asathir. Die Rufe der Männer gellten durch die

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